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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Mutter Vergnügen bereitete, es selbst zu tun.
    Sie holte immer ihr bestes Geschirr aus dem Schrank, das sonst nur benutzt wurde, wenn seine Tante Jo aus Chicago zu Besuch kam oder der Chef seines Vaters zum Dinner erwartet wurde. Das Besteck war nicht aus Silber, sondern aus verziertem, rostfreien Edelstahl gewesen. Sie hatte stets großen Wert darauf gelegt, die Servietten zu Dreiecken zu falten. Gegen Mittag kam dann die Schwester seines Vaters mit ihrem Mann und ihren drei Sprößlingen im Schlepptau, so daß es im Haus bald sehr geräuschvoll zuging. Überall duftete es nach dem 387
    Honigbrot seiner Mutter.
    Während sie das Tischgebet sprachen, bemühte sich Ben, seine Kusine Marcie zu ignorieren, die von Jahr zu Jahr unangenehmer wurde und die seine Mutter aus unerfindlichen Gründen immer neben ihn placierte.
    Herr Gott, himmlischer Vater, segne uns und diese deine Gaben, die du uns in deiner Güte beschert hast, durch Jesumchristumunserenherrnamen.
    Die letzten Worte wurden immer sehr hastig gesprochen, da die Gier einfach zu groß wurde. Sobald sie sich bekreuzigt hatten, streckten sich die Hände nach dem aus, was gerade am nächsten stand.
    Einen schweigsamen Orientalen, der darauf achtete, daß die Gläser immer mit weißem Burgunder gefüllt waren, hatte es bei ihnen nicht gegeben.
    »Ich freue mich, daß Sie heute abend zu uns kommen konnten, Detective.« Writemore nahm sich eine weitere Portion Spargel. »Ich habe oft Schuldgefühle, weil ich Tess an den Feiertagen mit Beschlag belege.«
    »Ich bin Ihnen dankbar für die Einladung. Andernfalls würde ich wahrscheinlich gerade einen Taco essen und vor dem Fernseher sitzen.«
    »In einem Beruf wie dem Ihren hat man vermutlich selten Zeit, in aller Ruhe eine Mahlzeit zu sich zu nehmen.
    Wie ich vernommen habe, gehören sie einer seltenen Spezies an, Detective, da Sie Ihren Beruf sehr engagiert ausüben.« Als Ben nur die Augenbraue hochzog, lächelte ihn der Senator freundlich an und gestikulierte mit seinem Weinglas. »Der Bürgermeister hält mich über den Fall, an dem Sie arbeiten, auf dem laufenden, weil meine Enkeltochter auch damit zu tun hat.«
    »Was Großpapa meint, ist, daß er mit dem
    Bürgermeister tratscht.«
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    »Das auch«, gab Writemore ohne weiteres zu. »Offenbar waren Sie nicht dafür, daß man Tess zu Rate zieht.«
    Offenheit begegnet man am besten mit Offenheit, entschied Ben. »Das bin ich nach wie vor nicht.«
    »Probieren Sie doch mal diese Birnenkonfitüre zu Ihrem Hörnchen.« Freundlich reichte ihm der Senator die Schale.
    »Miß Bette macht sie selbst. Darf ich fragen, ob Sie grundsätzlich etwas dagegen haben, einen Psychiater hinzuzuziehen, oder ob Sie etwas dagegen haben, Tess zu Rate zu ziehen?«
    »Großpapa, ich glaube nicht, daß sich ein
    Erntedankfestdinner dazu eignet, jemanden in die Mangel zu nehmen.«
    »Unsinn. Ich nehme den Jungen doch nicht in die Mangel. Ich versuche nur, seinen Standpunkt
    herauszufinden.«
    Ben ließ sich Zeit und strich sich erst einmal Konfitüre aufs Hörnchen. »Ich habe nicht eingesehen, wozu ein psychiatrisches Täterprofil gut sein sollte, das noch mehr Zeit kosten und noch mehr Schreibtischarbeit erforderlich machen würde. Ich bin mehr für grundlegende
    Polizeiarbeit – Vernehmungen, Nachforschungen, logische Schlußfolgerungen.« Er blickte zu Tess hinüber und sah, daß sie ihren Wein betrachtete. »Soweit es die Polizeiarbeit betrifft, ist es mir völlig egal, ob er ein Psychotiker oder bloß eine mieser Ganove ist. Diese Füllung schmeckt unglaublich gut.«
    »Ja, dafür hat Miß Bette ein Händchen.« Als wolle er diese Tatsache bekräftigen, steckte Writemore eine weitere Gabel voll in den Mund. »Ich kann Ihren Standpunkt nachvollziehen, Detective, ohne ihn ganz zu teilen. In der Politik nennen wir so was diplomatisches Gesülze.«
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    »Bei der Polizei nennen wir das auch so.«
    »Dann verstehen wir einander ja. Wissen Sie, ich bin der Meinung, daß es immer vom Vorteil ist, die Denkweise seines Gegners zu verstehen.«
    »Sofern es einem hilft, ihm immer einen Schritt voraus zu sein.« Ben wandte Writemore seine ganze
    Aufmerksamkeit zu. Der Senator saß in einem schwarzen Anzug und einem steifen weißen Hemd am Kopfende des Tisches. Die dunkle Krawatte wurde von einem schlichten Diamanten am Verrutschen gehindert. Die eleganten Kristallgläser ließen seine Hände groß und ungeschlacht wirken. Überrascht stellte Ben fest, daß die Hände seines eigenen

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