Verlorene Seelen
Kaninchen aus dem Zylinder zaubern wollte, konnte man es sich zumindest einmal ansehen. »Ich werde mit dem Captain darüber sprechen.«
Nach ihrem Sieg fiel es ihr leicht zu lächeln. »Danke.«
Sie zog ihre Brieftasche heraus und steckte Kleingeld in den hinter ihm stehenden Automaten. Nachdem sie kurz überlegt hatte, zog sie an einem Griff. Mit einem leisen Plumps fiel ein Hershey-Riegel in die Schale. »Hier.« Mit feierlichem Gesichtsausdruck überreichte sie Ben den Riegel. »Mir hat wirklich das Herz geblutet. War schön, Sie wiederzusehen, Detective Jackson.«
»Ganz meinerseits, gnädige Frau.« Ein breites Grinsen ging über sein Gesicht, als er ihr nachblickte. »Nicht übel, wie sie alles im Griff hat, was?«
Mit finsterem Gesicht warf Ben den Schokoriegel von einer Hand in die andere. »O ja«, murmelte er. »Wie ein richtiger Profi.«
Es lag ihr nicht, sich über Kleidung den Kopf zu zerbrechen. Tatsache war, daß ihre Garderobe sorgfältig zusammengestellt worden war, bis hin zum letzten Kaschmirpullover oder Leinenblazer, und zwar aus dem einfachen Grund, weil Tess nicht die Geduld hatte, jeden Morgen zu überlegen, was sie anziehen sollte. Im großen und ganzen bevorzugte sie klassische Mode und
miteinander harmonierende Farben, weil ihr so etwas am besten stand und weil sie auf diese Weise, wenn sie es morgens sehr eilig hatte, bloß in den Wandschrank zu greifen und das, was ihr gerade in die Hände fiel, herauszuholen brauchte.
66
Aber jetzt zog sie sich nicht fürs Büro an. Als Tess das dritte Kleid wieder auf den Bügel hängte, erinnerte sie sich daran, daß sie sich allerdings auch nicht für einen Märchenprinzen anzog. Mit neunundzwanzig wußte sie, daß es so etwas nicht gab, außerdem würde keine vernünftige Frau in einem Elfenbeinturm leben wollen.
Eine simple Verabredung mit einem attraktiven Mann, der einen nachdenklich stimmte, war etwas ganz anderes, und Ben Paris stimmte sie zweifellos nachdenklich.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, daß sie nicht rechtzeitig fertig werden würde, wenn sie soviel nachdachte. In einem kurzen, hellrosafarbenen Hemdhöschen stand sie da und holte ein schwarzes Seidenkleid heraus, um es kritisch zu mustern. Einfach, aber elegant. Eine kluge Wahl, fand sie, und außerdem hatte sie keine Zeit, noch länger herumzutrödeln. Sie zog es an und machte die Knöpfe zu, die von der Taille bis zum Hals reichten.
Nachdem sie sich längere Zeit im Drehspiegel betrachtet hatte, nickte sie beifällig. Ja, dachte sie, das ist besser als das eisblaue, das ich zuerst angehabt habe, oder das erdbeerfarbene aus Georgette. Sie beschloß, die Diamantohrringe ihrer Mutter und das dünne goldene Armband zu tragen, das Großvater ihr zum bestandenen Examen geschenkt hatte. Sie überlegte, ob sie sich das Haar hochstecken sollte, doch ein Klopfen an der Tür nahm ihr die Entscheidung ab. Also mußte es bleiben, wie es war.
Sie hatte nicht gedacht, daß er elegant aussehen könne.
Doch als sie die Tür öffnete, belehrten sie sein stahlgrauer Anzug und sein lachsfarbenes Hemd eines Besseren. In puncto Krawatte hatte sie jedoch recht gehabt. Sein Kragen stand offen. Sie lächelte ihn an, dann sah sie das Veilchenbouquet in seiner Hand. Es war nicht ihre Art, derart aus der Fassung zu geraten, doch als sie wieder zu 67
ihm hochblickte, fühlte sie sich wie ein Teenager, dem zum erstenmal jemand ein paar verwelkte Blumen in die Hand drückt.
»Ein Versöhnungsgeschenk«, sagte Ben, der ebenso verunsichert war wie Tess und sich in seiner Rolle genauso unbehaglich fühlte. Was eigentlich Unsinn war, weil er es gewohnt war, die Frauen, mit denen er sich verabredete, durch grandiose oder impulsive Gesten zu beeindrucken. Das war sein Stil. Mitten im Oktober zu versuchen, einen Veilchenstrauß aufzutreiben, kam ihm erst jetzt, wo er dastand und ihn überreichte, lächerlich vor.
»Die sind wunderschön. Danke.« Nachdem sie die Fassung wiedererlangt hatte, lächelte sie ihn an und nahm ihm die Blumen ab, während sie zurücktrat, um ihn hereinzulassen. Der Duft erinnerte sie an den Frühling, der noch sehr weit weg war. »Ich hole eine Vase.«
Als sie in die Küche ging, schaute Ben sich um. Er sah die Matisse-Lithographie, die persischen Teppiche, die hübschen Kissen mit Petitpointstickereien. Weiche schöne Farben und altes edles Holz. Es war ein Zimmer, das von unaufdringlichem, seit Generationen bestehendem Reichtum zeugte.
Was, zum Teufel, hast du hier zu
Weitere Kostenlose Bücher