Verlorene Seelen
steckte gerade den Kopf in einen kleinen, ramponierten Kühlschrank, doch als er sich aufrichtete, sah sie einen Mann, den sie nicht kannte.
Ben war nicht da. Die anwesenden Polizisten waren ganz unterschiedlich gekleidet. Manche trugen Anzug und Krawatte, andere Jeans und Pullover, die einen hatten Lederschuhe, die anderen Turnschuhe an. Das einzige gemeinsame Merkmal schien das Schulterhalfter zu sein, das nach Tess’ Dafürhalten nicht im entferntesten so faszinierend wie ein Schwert war.
Sie blickte durch die Trennscheibe in Harris’ Büro und bemerkte, daß es leer war.
»Dr. Court?«
Sie blieb stehen und schaute in Richtung eines Mannes, der gerade von seinem Schreibtisch aufstand. »Ja.«
»Ich bin Detective Roderick. Falls Sie Captain Harris suchen, der hat gerade eine Besprechung mit dem Chef.«
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»Ah, ja.« Roderick war der Anzug-und-Krawatte-Typ, stellte sie fest. Obwohl er sein Jackett über die Stuhllehne gehängt hatte, war der Sitz seiner Krawatte tadellos. Sie war überzeugt, daß Ben nie eine Krawatte tragen würde.
»Erwarten Sie ihn bald zurück?«
»Ja. Falls Sie warten möchten, allzu lange kann es nicht mehr dauern.« Er grinste, als er sich an den gestrigen Tag erinnerte. »Ich kann Ihnen einen Kaffee holen.«
»Tja …« Sie blickte auf die Armbanduhr. Ihr nächster Patient war in vierzig Minuten dran. Die Hälfte dieser Zeit würde sie brauchen, um in ihr Büro zurückzufahren.
»Nein, danke. Ich habe selbst nicht viel Zeit. Ich habe einen Bericht für den Captain.«
»Das Täterprofil. Das können Sie mir geben.« Als er sah, wie sie zögerte, fuhr er fort: »Ich arbeite auch an dem Fall mit, Dr. Court.«
»Entschuldigung. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dafür sorgen würden, daß Captain Harris die Unterlagen gleich bei seiner Rückkehr erhält.« Tess zog den Reißverschluß ihrer Aktentasche auf und holte den Bericht heraus. »Wenn er irgendwelche Fragen hat, kann er mich bis fünf in meinem Büro erreichen, danach zu Hause, bis sieben. Sie können mir vermutlich nicht sagen, ob es irgendwelche Fortschritte gibt?«
»Ich wünschte, ich könnte es. Im Moment gehen wir zum xtenmal alles durch und hoffen, daß uns vorher irgend etwas entgangen ist.«
Tess warf einen Blick auf ihren Bericht und fragte sich, ob Roderick den Mann, über den sie geschrieben hatte, wirklich verstehen konnte. War dazu überhaupt jemand in der Lage? Sie nickte unzufrieden und übergab den Schnellhefter. Er sah harmlos aus, aber das ließ sich auch von einer noch nicht explodierten Bombe sagen. »Vielen 61
Dank.«
Eine Dame, dachte er bei sich. So was bekam er in seinem Job leider höchst selten zu sehen. »Keine Ursache.
Soll ich dem Captain etwas ausrichten?«
»Nein. Es steht alles im Bericht. Nochmals vielen Dank, Detective.«
Lowenstein wartete, bis Tess außer Hörweite war. »Ist das die Psychiaterin?«
Roderick blätterte den Schnellhefter durch, bevor er ihn auf seinen Schreibtisch legte. »Ja. Sie hat das Täterprofil für Harris gebracht.«
»Sie sieht aus wie aus einem Modemagazin«, murmelte Lowenstein. »Hat Klasse, die Frau, obwohl ich gehört habe, daß sie gestern abend mit Paris losgezogen ist.« Sie kicherte und gab Roderick einen Klaps auf den Arm. »Ist dir nicht das Blut in Wallung geraten, Lou?«
Verlegen zuckte er die Achseln. »So genau habe ich gar nicht hingesehen.«
Lowenstein grinste ironisch. »Natürlich nicht. Na, ich hoffe, sie versteht ihre Sache.« Sie hängte sich ihre Handtasche über die Schulter. »Bigsby und ich ziehen jetzt los, um einige der Stammgäste von Doug’s zu vernehmen. Halt inzwischen die Stellung.«
»Bring eine heiße Spur mit, Maggie.« Roderick ließ sich in seinen Stuhl fallen. »Sonst müssen wir doch noch auf das Täterprofil zurückgreifen.«
Tess war eben um die zweite Ecke gebogen, als sie jemanden fluchen hörte. Sie blickte zurück und sah, wie Ben gerade kräftig gegen einen Automaten trat.
»Mistding.«
»Ben.« Ed legte ihm die Hand auf die Schulter. »Dieses Zeug ist Gift für deinen Organismus. Vergiß es. Dein 62
Körper wird es dir danken.«
»Ich habe fünfzig Cent da reingesteckt.« Ben packte den Automaten mit beiden Händen, schüttelte sie und fing wieder an zu fluchen. »Fünfzig Cent ist ohnehin ein unverschämter Preis für ein mickriges Stück Schokolade und ein paar Nüsse.«
»Du solltest es mal mit Rosinen versuchen«, schlug Ed vor. »Die enthalten Naturzucker und viel Eisen.«
Ben biß
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