Verlorene Seelen
so still, daß sie meinte, fast das Echo der Stille hören zu können. Sie bebte am ganzen Leib, und obwohl sie sich immer wieder sagte, daß sie erwachsen war und ihre Entscheidungen selbst traf, hörte das Zittern nicht auf. Ihre Nerven waren in Aufruhr und verbanden sich mit ihren Bedürfnissen, bis beide ein und dasselbe waren. Er kam auf sie zu und zog sie an sich.
»Du zitterst ja.«
»Ich fühle mich wie ein Schulmädchen.«
»Das hilft.« Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar. »Ich habe eine Heidenangst.«
»Tatsächlich?« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie ihm die Hände um den Nacken legte und seinen Kopf ein Stück zurückschob.
»Ich komme mir vor wie … ich weiß auch nicht … wie ein Teenager, der auf dem Rücksitz von Vaters Auto zum erstenmal am Verschluß eines BHs herumfummelt.« Um sich selbst daran zu hindern, sie anderswo zu berühren, ergriff er ihre Handgelenke. »Ich habe noch nie jemanden 153
wie dich kennengelernt. Ich habe dauernd Angst, daß ich etwas falsch mache.«
Er hätte nichts sagen können, was sie mehr beruhigt hätte. Sie zog sein Gesicht zu sich herunter. Ihre Lippen trafen sich zu einem knabbernden, vorsichtigen Kuß, der zu einem hungrigen Biß zu werden drohte. »So weit, so gut«, murmelte sie. »Schlaf mit mir, Ben. Das habe ich immer gewollt.«
Ohne den Blick von ihr zu wenden, zog er ihr den überdimensionalen Pullover aus. Ihr Haar floß über ihre nackten Schultern. Er sah, wie das Licht des Mondes und der Kerzen und sein eigener Schatten auf ihre Haut fielen.
Auf dieser Ebene verlor sie einem Mann gegenüber alle Selbstsicherheit. Zögernd begann sie, ihm den Pullover hochzuziehen. Sein Oberkörper war mager und fest.
Oberhalb seines Brustbeins baumelte eine Christophorus-Medaille. Lächelnd strich Tess mit dem Finger darüber.
»Das ist nur ein Glücksbringer«, sagte er.
Ohne etwas zu erwidern, preßte sie die Lippen auf seine Schulter. »Du hast ja eine Narbe.«
»Die ist schon alt.« Er machte den Druckknopf ihrer Hose auf.
Sie strich mit dem Daumen über die Narbe. »Die stammt von einer Kugel«, stellte sie mit entsetzter Stimme fest.
»Die ist schon alt«, wiederholte er und zog sie aufs Bett.
Mit halb geschlossenen Augen und geöffneten Lippen lag sie unter ihm. Ihr Haar hatte sich über die dunkle Bettdecke ergossen. »Hier habe ich dich haben wollen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr und wie oft.«
Sie streckte die Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen sein Gesicht. Am Kinn waren Bartstoppeln zu spüren. Darunter, direkt über der Stelle, wo sein Puls zu 154
fühlen war, faßte sich die Haut glatt an. »Du kannst es mir ja zeigen.«
Als er grinste, stellte sie fest, daß sie entspannt war und auf ihn wartete.
Seine Erfahrung mochte größer sein als ihre, aber nicht sein Verlangen. Das ihre hatte sie ständig unterdrückt, und jetzt, da es freigesetzt wurde, brach es in wilder Gier aus ihr hervor. Schweißbedeckt und nackt wälzten sie sich im Bett herum und vergaßen alles, was mit zivilisiertem, alltäglichem Verhalten zu tun hatte.
Die Bettdecke, auf der sie lagen, war zerknüllt und behinderte sie. Er fluchte, befreite sie von der Decke und legte Tess auf sich. Ihre Brüste waren klein und blaß. Er umschloß erst eine, dann beide mit den Händen. Er sah, wie sie die Augen schloß, und hörte sie lustvoll stöhnen.
Dann riß sie ihn an sich und küßte ihn heiß.
Als sie die Arme und Beine um ihn schlang, gab er seine Absicht auf, sie wie eine Dame zu behandeln und behutsam und sanft mit ihr umzugehen. Jetzt war sie nicht mehr die sachliche, elegante Frau Dr. Court, sondern eine Frau, die so leidenschaftlich und fordernd war, wie ein Mann es sich nur wünschen konnte. Ihre weiche Haut faßte sich zart an und war schweißbedeckt vor Lust. Er fuhr mit der Zunge darüber, denn ihn dürstete nach ihr.
Sie bäumte sich ihm entgegen und gab sich ganz ihrem Verlangen, ihren Fantasien und ihrer Leidenschaft hin.
Das Hier und Jetzt war alles, was zählte. Was draußen war, war weit weg. Wichtig war er, nur ihn gab es. Der Rest der Welt konnte warten.
Die Kerzen flackerten, zischten und gingen aus.
Stunden später erwachte er. Ihm war kalt. Die Decke befand sich zusammengeknautscht am Fußende des Bettes. Tess lag nackt und zusammengerollt neben ihm.
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Ihre Haare verhüllten ihr Gesicht. Er stand auf und breitete die Decke über sie. Selbst das Mondlicht war jetzt verschwunden. Eine Zeitlang stand er über das
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