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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Doch sie würde noch lange an Anne Reasoner denken. Der Tod war keine übersichtlich 167
    gedruckte Statistik, wenn man ihm ins Auge blickte.
    Sie wird um sich getreten und mit den Händen am Schal gezerrt und versucht haben zu schreien.
    Tess atmete tief ein, was weh tat, da sie infolge des Brechreizes ständig schlucken mußte und ihre Kehle rauh war. Sie war Ärztin. Wieder und wieder hielt sie sich das vor Augen, bis der Krampf in ihrem Magen nachließ. Sie hatte gelernt, sich mit dem Tod zu befassen. Und sie hatte sich damit befaßt.
    Sie wandte sich von der Gasse ab und blickte auf die leere Straße. Wem versuchte sie da etwas vorzumachen?
    Sie befaßte sich mit Verzweiflung, mit Phobien, Neurosen, sogar mit Gewalttätigkeit, doch sie hatte noch nie ein Mordopfer gesehen. Ihr Leben war geordnet und
    geschützt, weil sie es so eingerichtet hatte. Pastellfarbene Wände und Fragen und Antworten. Selbst das, was sie in der Klinik erlebte, war harmlos im Vergleich zu der täglichen Gewalt auf den Straßen der Stadt, in der sie lebte.
    Sie wußte über die häßlichen Seiten des Lebens, über Gewalt und Perversion Bescheid, war jedoch infolge ihrer Herkunft mit alldem nie direkt in Berührung gekommen.
    Die Enkelin des Senators, die gescheite junge Studentin, die besonnene Ärztin. Sie besaß ein Diplom, eine gut gehende Praxis und hatte drei wissenschaftliche Arbeiten publiziert. Sie hatte Menschen behandelt, die hilflos, verzweifelt und bedauernswert waren, aber sie hatte noch nie neben einem Mordopfer gekniet.
    »Dr. Court?«
    Sie drehte sich um und sah Ed vor sich. Unwillkürlich blickte sie an ihm vorbei und entdeckte Ben, der sich mit dem Coroner unterhielt.
    »Ich habe Ihnen einen Kaffee besorgt.«
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    »Danke.« Sie nahm den Becher und trank den Kaffee in kleinen Schlucken.
    »Wollen Sie auch ein Bagel?«
    »Nein.« Sie legte die Hand auf den Magen. »Nein.«
    »Sie haben Ihre Sache gut gemacht.«
    Der Kaffee verteilte sich im Magen und schien nicht die Absicht zu haben, wieder hochzukommen. Als sie über den Becherrand sah, trafen sich ihre Blicke. Er verstand alles, erkannte sie, und verurteilte oder bedauerte niemanden. »Ich hoffe, daß ich so etwas nie wieder machen muß.«
    Ein schwarzer Plastiksack wurde aus der Gasse getragen.
    Tess brachte es fertig zuzusehen, wie er in den Leichenwagen geschoben wurde.
    »Man lernt nie, es besser wegzustecken«, murmelte Ed.
    »Früher habe ich immer gewünscht, man würde es lernen.«
    »Und jetzt nicht mehr?«
    »Nein. Ich glaube, wenn man es lernt, verliert man auch den Antrieb, herausfinden zu wollen, warum es geschah.«
    Sie nickte. Sein gesunder Menschenverstand und sein ganz normales Mitgefühl wirkten ebenso beruhigend auf sie wie seine leise Stimme. »Wie lange arbeiten Sie schon mit Ben zusammen?«
    »Seit fünf, fast sechs Jahren.«
    »Sie passen gut zusammen.«
    »Komisch, aber dasselbe habe ich gerade von Ihnen und Ben gedacht.«
    Sie stieß ein leises, freudloses Lachen aus. »Sich zueinander hingezogen zu fühlen ist etwas anderes, als gut zueinander zu passen.«
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    »Mag sein. Ebenso wie Dickköpfigkeit etwas anderes ist als Dummheit.« Er behielt seinen neutralen
    Gesichtsausdruck bei, als sie ihn ansah. »Wie dem auch sei, Dr. Court«, fuhr er fort, bevor sie die Möglichkeit hatte, etwas zu erwidern. »Ich hatte gehofft, daß Sie vielleicht ein paar Minuten mit dem Zeugen sprechen würden. Er ist ziemlich fertig, und wir bekommen nichts aus ihm heraus.«
    »In Ordnung.« Sie nickte in Richtung des
    Streifenwagens. »Das ist der Mann, der dort im Auto sitzt, ja?«
    »Genau. Gil Norton heißt er.«
    Tess ging zum Wagen und kauerte sich vor die offene Tür. Er war fast noch ein Junge. Zwanzig, vielleicht zweiundzwanzig. Am ganzen Leib zitternd, kippte er Kaffee in sich hinein. Sein Gesicht war bleich, die Haut über den Wangenknochen stark gerötet. Seine Augen waren vom Weinen geschwollen und rot, und seine Zähne klapperten. Mit seinen Daumen hatte er Dellen in den Styroporbecher gedrückt. Er roch nach Bier und Erbrochenem und Angst.
    »Gil?«
    Nachdem er kurz zusammengezuckt war, wandte er den Kopf. Sie zweifelte nicht im geringsten daran, daß er jetzt stocknüchtern war, doch um die Iris herum war ein bißchen zuviel Weiß zu sehen. Seine Pupillen waren stark erweitert.
    »Ich bin Dr. Court. Wie fühlen Sie sich?«
    »Ich will nach Hause. Ich habe mich übergeben. Mein Magen tut weh.« Hinter dem winselnden Selbstmitleid eines Betrunkenen,

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