Verlorene Seelen
Spray in Mund und Nase. Er konnte es sich nicht leisten, daß sie sich krank meldeten, und er konnte es sich nicht leisten, sie schonend zu behandeln. »In diesem Raum kommen über sechzig Jahre Erfahrung im Polizeidienst zusammen. Es ist höchste Zeit, daß wir uns diese Erfahrung zunutze machen, um einen kranken religiösen Fanatiker zu schnappen, der morgens wahrscheinlich nicht mehr sein 195
Frühstück im Magen behalten kann.«
»Ed und ich haben noch mal mit Logan gesprochen.«
Ben schob seinen Plastikbecher mit Kaffee beiseite. »Da der Typ sich wie ein Priester anzieht, haben wir gedacht, wir behandeln ihn auch wie einen. Als Psychiater therapiert Logan auch andere Priester, die irgendwelche emotionalen Probleme haben. Natürlich wird er uns keine Liste seiner Patienten geben, aber er wird seine Unterlagen durchsehen und nach irgendeinem Anhaltspunkt Ausschau halten – nach jemand, der vielleicht in Frage käme. Dann ist da noch die Sache mit der Beichte.«
Er schwieg einen Moment. Die Beichte war ein Teil des Katholizismus, der immer ein Problem für ihn dargestellt hatte. Er konnte sich gut daran erinnern, wie er in dem kleinen dunklen Raum mit dem Gitterfenster gekniet hatte, um zu beichten, zu bereuen und Buße zu tun. Gehe hin und sündige nicht mehr. Aber natürlich hatte er wieder gesündigt.
»Ein Priester muß jemandem beichten, und zwar einem anderen Priester. Wenn Dr.
Court recht hat und er
tatsächlich anfängt, das, was er getan hat, für eine Sünde zu halten, muß er zur Beichte gehen.«
»Dann fangen wir also an, Priester zu befragen«, warf Lowenstein ein. »Ich weiß zwar aus naheliegenden Gründen nicht viel vom Katholizismus, aber gibt es nicht so was wie ein Beichtgeheimnis?«
»Sicher ist es unwahrscheinlich, daß wir einen Priester dazu bringen könnten, jemanden zu verpfeifen, der sich ihm in der Beichte offenbart hat«, gab Ben zu. »Aber vielleicht läßt sich dadurch das Terrain erweitern. Vieles spricht dafür, daß er in seinem eigenen Pfarrbezirk bleiben würde. Tess – Dr.
Court – hat gesagt, daß er
wahrscheinlich regelmäßig zur Kirche geht. Vielleicht 196
können wir herausfinden, in welche. Wenn er Priester ist oder war, zieht es ihn wahrscheinlich in seine eigene Kirche.«
Er stand auf und ging zum Stadtplan. »Dieser Bereich«, sagte er und fuhr mit dem Finger um das durch blaue Stecknadeln gekennzeichnete Areal, »umfaßt zwei Pfarrbezirke. Ich möchte wetten, daß er eine dieser Kirchen aufsucht, oder sogar beide. Vielleicht steht er dort sogar am Altar.«
»Du glaubst, er wird am Sonntag dort aufkreuzen«, warf Roderick ein. Er drückte mit Daumen und Zeigefinger seine Nase, um den Druck etwas zu mildern. »Vor allem wenn Dr. Court recht hat und er es letzte Woche nicht geschafft hat, weil er zu krank war, wird er den Rückhalt brauchen, den ihm der Gottesdienst gibt.«
»Denke ich auch. Samstagabend werden ebenfalls Messen gehalten.«
»Ich dachte, so was gibt es nur bei uns«, sagte Lowenstein.
»Katholiken sind flexibel.« Ben steckte die Hände in die Taschen. »Und wie alle anderen Menschen schlafen sie sonntags gern ein bißchen länger. Allerdings bin ich ziemlich sicher, daß dieser Typ sehr konservativ ist. Die Messe hat am Sonntagmorgen stattzufinden, sie sollte nach wie vor in lateinischer Sprache abgehalten werden, und freitags ißt man kein Fleisch. So verlangen es die traditionellen Kirchenregeln. Ich glaube, Dr. Court hat nicht ganz unrecht, wenn sie sagt, daß dieser Typ von den kirchlichen Verhaltensregeln besessen ist.«
»Dann überwachen wir also am Sonntag die beiden Kirchen. Vorher haben wir noch ein paar Tage, um Priester zu befragen.« Harris sah nacheinander jeden seiner Untergebenen an. »Lowenstein, Sie und Roderick 197
übernehmen den einen Pfarrbezirk, Jackson und Paris den anderen. Bigsby wird – wo, zum Teufel, ist Bigsby?«
»Er hat gesagt, er sei im Zusammenhang mit den Humeralia auf eine Spur gestoßen, Captain.« Roderick stand auf und goß sich einen Becher Eiswasser ein, da er wußte, daß sein Organismus schon zuviel Kaffee aufgenommen hatte. »Hört mal, ich will ja kein Miesmacher sein, aber angenommen, er kreuzt tatsächlich am Sonntag zur Messe auf – wie sollen wir ihn denn aus der Gemeinde herausfinden? Der Typ ist schließlich kein Freak. Er wird nicht mit Schaum vorm Mund
hereinkommen oder in ekstatische Reden ausbrechen.
Dr. Court hat darauf hingewiesen, daß er sich genau wie jedermann
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