Verlorene Seelen
Polizisten auf.
Er war groß und hatte die Statur eines Abwehrspielers.
Seine Haut hatte die Farbe glänzenden Mahagonis, sein Haar war kurz geschnitten, sein Gesicht rundlich. Von seiner schwarzen Soutane hob sich eine weiße Schlinge ab. Sein rechter Arm steckte in einem Gipsverband, der mit Namenszügen übersät war.
»Guten Abend«, sagte er lächelnd. Anscheinend erfüllte ihn ihr Besuch eher mit Neugier als mit Freude. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht die Hand geben kann.«
»Sieht so aus, als wäre Ihnen etwas Unangenehmes passiert.« Ed konnte die Enttäuschung seines Partners förmlich spüren. Selbst wenn Gil Nortons Beschreibung nicht stimmte – dieser Gipsverband ließ sich einfach nicht ignorieren.
»Ja, beim Football, vor ein paar Wochen. Ich hätte mich besser vorsehen müssen. Möchten Sie sich nicht setzen?«
»Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen,
Hochwürden.« Ben holte seine Dienstmarke heraus. »Im Zusammenhang mit der Erdrosselung von vier Frauen.«
»Die Mordserie.« Moore senkte einen Augenblick lang den Kopf, als bete er. »Was möchten Sie wissen?«
201
»Haben Sie im vergangenen Sommer etwas bei
O’Donnely, einer Firma für Kirchenbedarfsartikel in Boston, bestellt?«
»In Boston?« Moores freie Hand spielte mit dem Rosenkranz, der an seinem Gürtel hing. »Nein. Um diese Dinge kümmert sich Pfarrer Jessup. Er bestellt das, was wir benötigen, bei einer Firma hier in Washington.«
»Haben Sie ein Postfach, Hochwürden?«
»Aber nein. Unsere ganze Post wird an die Pfarrei geschickt. Entschuldigen Sie, Detective …«
»Paris.«
»Detective Paris. Worum geht es eigentlich?«
Ben zögerte einen Moment. Dann beschloß er, aufs Ganze zu gehen. »Ihr Name wurde benutzt, um die Mordwaffen zu bestellen.«
Er sah, wie die Finger sich um den Rosenkranz
krampften. Moore öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Er streckte die Hand aus und hielt sich an einem der Sessel fest. »Ich … Sie verdächtigen mich?«
»Es wäre möglich, daß Sie den Mörder kennen oder mit ihm in Verbindung gestanden haben.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Warum setzen Sie sich nicht, Hochwürden?« Ed faßte ihn sanft bei der Schulter und drückte ihn in den Sessel.
»Mein Name«, murmelte Moore. »Das ist kaum zu
glauben.« Dann lachte er mit zittriger Stimme. »Den Namen hat man mir in einem katholischen Waisenhaus in Virginia gegeben. Es ist noch nicht einmal mein richtiger Name. Den kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich ihn nicht kenne.«
»Pfarrer Moore, Sie stehen nicht unter Verdacht«, sagte Ben. »Wir haben einen Zeugen, der ausgesagt hat, der 202
Mörder sei ein Weißer, und außerdem steckt Ihr Arm in Gips.«
Moore bewegte seine dunklen Finger hin und her, die halb von Gips bedeckt waren. »Da habe ich ja doppelt Schwein gehabt. Entschuldigung.« Er holte tief Luft und versuchte sich zusammenzureißen. »Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Wir haben hier mehr als einmal über diese Morde gesprochen. Die Presse bezeichnet den Mörder als Priester.«
»Ob das stimmt, muß die Polizei erst noch feststellen«, warf Ed ein.
»Jedenfalls haben wir alle unser Herz erforscht und uns das Gehirn zermartert, um eine Antwort zu finden. Ich wünschte, wir hätten sie gefunden.«
»Stehen Sie mit den Mitgliedern Ihrer Gemeinde auf vertrautem Fuß, Hochwürden?«
Moore wandte sich wieder Ben zu. »Ich wünschte, es wäre so. Bei einigen ist das natürlich der Fall. Einmal im Monat gibt es im Gemeindesaal ein gemeinsames
Abendessen, dann ist da noch die Jugendgruppe. Im Moment bereiten wir für den Teenagerclub eine
Tanzveranstaltung vor, die am Erntedankfest stattfinden soll. Daß wir die Gemeindemitglieder in Scharen anziehen, kann man leider nicht sagen.«
»Gibt es jemanden in Ihrer Gemeinde, um den sie sich Sorgen machen, den Sie vielleicht für sehr labil halten?«
»Detective, es ist meine Aufgabe, allen, die Kummer haben, Trost zu spenden. Es hat einige Fälle von Drogen und Alkoholmißbrauch gegeben, und vor einigen Monaten mußten wir uns um eine Frau kümmern, die ständig von ihrem Mann verprügelt wurde. Trotzdem gibt es
niemanden, dem ich diese Morde zutrauen würde.«
»Daß Ihr Name verwendet wurde, kann Zufall sein, es 203
kann aber auch daran liegen, daß der Mörder sich mit Ihnen identifiziert, weil Sie Priester sind.« Ben machte eine Pause, da er wußte, daß er jetzt an heilige und unverletzliche Dinge rührte. »Hochwürden, hat irgend
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