Verlorene Seelen
mal.«
»Vermutlich verlierst du dadurch deinen Ruf als 256
Superseelenklempner.« Er stellte den Kaffee ab und ergriff ihre Hand. »Trinkst du keinen?«
»Nein. Ich bin schon zu aufgedreht.«
»Du bist erschöpft.« Er rieb mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel. Ganz plötzlich sah sie sehr zerbrechlich und sehr bleich aus, aber auch sehr schön. »Hör mal, warum gehst du nicht zu Bett und ruhst dich ein bißchen aus? Ich schlage hier auf der Couch mein Lager auf.«
»Polizeischutz?«
»Nur ein Teil unserer Kampagne, die Beziehungen zwischen Polizei und Bürgern zu verbessern.«
»Ich bin froh, daß du da bist.«
»Ich auch.« Er ließ ihre Hand los und fuhr mit der Fingerspitze über den Aufschlag ihres Seidenkimonos.
»Hübsch.«
»Ich habe dich vermißt.«
Sein Finger hörte auf, über ihren Kimono zu streichen.
Er sah sie an, und ihm fiel ein, daß sie am frühen Abend Ohrringe und am Hals einen Edelstein getragen hatte, der zur Farbe ihrer Augen paßte. Und daß er das Bedürfnis verspürt hatte, sie zu berühren, ein Bedürfnis, das so heftig gewesen war, daß es schmerzte. Wie zuvor wich Ben auch jetzt zurück.
»Hast du eine Decke für mich?«
Sie verstand, was eine Zurückweisung war, wenn man sie ihr ins Gesicht klatschte, und trat einen Schritt zurück.
»Ja, ich hole sie dir.«
Als sie aus dem Zimmer war, machte er sich Vorwürfe und rang mit seinen widersprüchlichen Gefühlen. Er wollte sie haben. Mit jemandem wie ihr wollte er sich nicht einlassen. Sie zog ihn an. Er schob sie von sich. Sie war reizend und verführerisch wie bestimmte
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Leckerbissen mit rosafarbenem und weißem Zuckerguß im Schaufenster eines Bäckers. Er hatte bereits von ihr gekostet und wußte, daß man nach manchen Leckerbissen süchtig werden kann. Selbst wenn für sie in seinem Leben Platz gewesen wäre, was nicht der Fall war, so würde sie doch nie hineinpassen. Doch dann erinnerte er sich wieder, wie sie lachend an seinem Fensterbrett gelehnt hatte.
Sie kam mit einer Decke und einem Kopfkissen zurück und machte sich daran, das Sofa für die Nacht
herzurichten.
»Du benimmst dich gar nicht so, als wolltest du eine Entschuldigung hören.«
»Wofür?«
»Für letzte Woche.«
Obwohl Tess entschlossen gewesen war, die Sache mit keinem Wort zu erwähnen, hatte sie sich gefragt, ob er sie zur Sprache bringen würde. »Warum sollte ich eine Entschuldigung hören wollen?«
Er sah zu, wie sie das Ende der Decke ordentlich zurückschlug. »Wir hatten eine ziemlich heftige Auseinandersetzung. Die meisten der Frauen, die ich …
die meisten Frauen, die ich kenne, würden in einem solchen Fall den alten Spruch Es tut mir leid, ich habe mich wie ein Blödmann benommen hören wollen.«
»Hast du?«
»Habe ich was?«
»Dich wie ein Blödmann benommen.«
Er mußte zugeben, daß sie ihn gekonnt in die Ecke getrieben hatte. »Nein.«
»Dann wäre es albern, wenn du es sagen würdest, bloß um die Tradition aufrechtzuerhalten. So, das müßte reichen«, fügte sie hinzu, indem sie das Kopfkissen noch 258
einmal kurz aufschüttelte.
»Also schön, verflucht noch mal, ich glaube, ich habe mich neulich wie ein Idiot benommen.«
»Da glaubst du ganz richtig.« Tess drehte sich um und lächelte ihn an. »Aber das ist schon okay.«
»Vieles von dem, was ich sagte, habe ich ernst gemeint.«
»Ich weiß. Ich auch.«
Gegensätzliche Standpunkte, dachte Ben.
Gegensätzliche Ziele. »Und wie stehen wir jetzt zueinander?«
Sie war sich nicht sicher, ob sie es ihm hätte sagen können, selbst wenn sie es gewußt hätte. Statt dessen erwiderte sie mit freundlicher Stimme: »Warum belassen wir es nicht einfach dabei, daß ich froh bin, daß du da bist, trotz all dieser …« Ihr Blick wanderte zum Telefon.
»Laß das doch jetzt. Denk einfach nicht daran.«
»Du hast recht.« Sie verschränkte die Hände und löste sie wieder voneinander. »Wenn man über so etwas zuviel nachdenkt, wird man …«
»Verrückt?« schlug er vor.
»Um mal einen vagen und ungenauen Begriff zu
benutzen.« Sie ging zu ihrem Schreibtisch und fing an, ihn aufzuräumen, damit ihre Hände etwas zu tun hatten. »Es hat mich überrascht, dich heute abend in der Galerie zu sehen. Ich weiß ja, die Welt ist klein, aber …« In dem Moment kam ihr etwas zu Bewußtsein, das ihr vorher in all ihrer Verwirrung und Angst gar nicht aufgefallen war.
»Wieso bist du eigentlich hier? Ich dachte, du hättest ein Date.«
»Hatte ich auch. Ich hab’
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