Verlorenes Spiel
Besuchersessel Platz genommen, als sie auch schon hereinstürmte. Dabei
sah ich zum erstenmal ihre untere Hälfte, die vorher immer unter dem
Schreibtisch verborgen gewesen war. Sie hatte eine schmale Taille und runde
Hüften, dazu hübsche Beine — nicht lang, aber gut geformt.
»Hier
können Sie nicht bleiben«, sagte sie wütend. »Das ist Mr. Carsons Büro.
Verlassen Sie sofort den Raum.«
»Süße«,
sagte ich. »Ich finde es geradezu herrlich, mich mit Ihnen zu unterhalten, aber
wie wär’s mit einem Themawechsel? Ich bleibe hier, bis er zurückkommt.«
Sie
stampfte mit dem Fuß, was geradezu faszinierende Vibrationen nach sich zog.
»Sie sind unmöglich«, fauchte sie. »Mr. Carson wird mich hinauswerfen, wenn er
zurückkommt und feststellt, daß ich Sie hineingelassen habe.«
»Ich
garantiere Ihnen, daß er das nicht tun wird«, sagte ich. »Warum setzen Sie sich
nicht und entspannen sich ein bißchen?« Ich blickte mich erwartungsvoll im Büro
um. »Sie müssen doch wissen, wo er seinen Whisky aufbewahrt. Sie könnten uns
ein Glas einschenken, sich dann hinsetzen und mir über Ihr Liebesleben
erzählen.«
»Wenn
es noch einen Funken von Gerechtigkeit auf der Welt gäbe, würden Sie sich auf
der Stelle den Hals brechen«, sagte sie erbittert.
»Weil
wir gerade von Hälsen sprechen«, sagte ich und warf dabei einen
angelegentlichen Blick auf den ihren. »Sie haben den erregendsten Hals, den ich
je...«
Sie
verschwand aus dem Büro wie ein nachmittäglicher Faun, der gerade Pans Flöte
zum Angriff hat blasen hören. Ich zündete mir eine Zigarette an und überlegte,
daß mich das in die Rolle eines haarigen, alten Geißbocks versetzte, und so alt
bin ich eigentlich noch nicht, vorläufig jedenfalls.
Ich
blieb ganze fünfundvierzig Minuten lang sitzen, dann hörte ich Carsons eiligen
Schritt draußen auf dem Korridor. Er kam ins Büro, warf die Tür hinter sich zu
und starrte mich an.
»Was
wollen Sie eigentlich, Wheeler?« knurrte er. »Mich heimsuchen?«
»Wenn
ich in der Heimsuchungsbranche wäre, würde ich besseren Geschmack walten
lassen«, brummte ich. »Da würde ich mich vielleicht an so was wie Ihre
Empfangssekretärin halten.«
»Haben
Sie irgendeinen Grund für Ihr Hiersein?« erkundigte er sich.
»Den allereinleuchtendsten «, sagte ich. »Ich glaube, Sie
setzen sich besser, Carson. Möglicherweise dauert es etwas.«
»Ich
habe in fünfzehn Minuten eine Verabredung«, knurrte er.
»Dann
sagen Sie sie ab«, wies ich ihn an. »Denn das schaffen Sie nie.«
Er
setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Ich glaube, Sie brauchen dringend
einen Arzt, Lieutenant«, sagte er. »Ich werde sofort den Sheriff anrufen und es
ihm mitteilen.«
»Nur
zu«, sagte ich zu ihm. »Ich dachte nur, Sie wünschten etwas über den Mord an
Alice Randall zu hören, und warum Sie ihn begangen haben.«
Seine
Hand bewegte sich einen Augenblick lang über dem Telefonapparat, um sich dann
langsam zurückzuziehen. »Ich?« sagte er verdutzt. »Ich habe Alice nicht
umgebracht. Wie käme ich dazu?«
»Ich
werde es Ihnen sagen«, antwortete ich gleichgültig. »Alice Randall wurde von
einem Amateur umgebracht, der den plumpen Versuch machte, die Tat als
Selbstmord zu frisieren. Der Versuch war plump, weil es wahrscheinlich die
erste Unternehmung des Täters in der Mordbranche war und weil er gleichzeitig
den Versuch unternahm, einen Haufen professioneller Kriminalbeamter hinters
Licht zu führen, die seit Jahren in diesem Geschäft Erfahrungen gesammelt
haben.
Das
Handbuch für die Kriminalpolizei besagt, daß man nach den Tatwerkzeugen, dem
Motiv und der Gelegenheit zur Ausführung der Tat forschen muß. Fangen wir also
an, das Bandmaß bei Ihnen anzulegen, Carson. Die Tatwerkzeuge waren Nembutal , ein Stück Strick und ein Baum, etwas, das sich
jeder beschaffen kann. Das Motiv? Jeder wußte, daß Alice mit einem
Nachtclubbesitzer namens Amoy herumturtelte. Die Autopsie erwies, daß das Opfer
schwanger war — ein mögliches Tatmotiv für Amoy, aber er besitzt ein Alibi, das
nicht zu erschüttern ist. Dann fand ich bei der Durchsuchung von Alices Zimmer
Ihren Zettel.
Das
brachte mich auf einige Gedanken. Möglicherweise schenkte Alice ihre Gunst
mehreren Männern — oder wenigstens zweien. Nehmen wir einmal an, Sie bildeten sich
ein, der einzige in ihrem Leben zu sein, und entdeckten dann plötzlich diese
Sache mit Amoy. Möglicherweise haben Sie deswegen mit ihr Krach bekommen. Und
möglicherweise hat sie Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher