Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
der provisorische Dietrich im Schloss. So ruhig wie möglich drehte er ihn erst in die eine, dann in die andere Richtung. Nur noch die richtige Position finden. – Klack! – Er drückte die Türklinke herunter. Die Tür schwang auf. Dahinter lag unbekannte Dunkelheit. Aber einen anderen Fluchtweg gab es nicht. Also durch! Gerade als er die Tür hinter sich zugleiten ließ, hörte er, wie der Vorhang zur Seite geschoben wurde.
»Wer hat denn die Ofenluke wieder offen gelassen, bei Xelos’ Feuerlocken?«, ertönte eine verärgerte Stimme hinter der dicken Holztür.
Rai wagte nicht, länger zu lauschen, was im Erdgeschoss des Turmes vor sich ging. Wie ein Blinder begann er, sich in die vollkommene Schwärze des unbekannten Raumes vorzutasten. Dabei stolperte er so oft über unsichtbare Gegenstände und schlug sich das Knie an harten Kanten, dass er bald überzeugt war, das Vorratslager gefunden zu haben. Kraftlos sank er schließlich in irgendeine Nische, in der er sich halbwegs sicher vor Entdeckung fühlte. Dort wollte er warten, bis das erste Licht des Morgens ihm ein wenig mehr Einzelheiten dieses chaotisch wirkenden Lagerraumes enthüllte. Es dauerte nicht lange, bis der kleine Dieb in tiefen Schlaf gefallen war.
Er wurde geweckt von einem unangenehmen Kitzeln an seiner Handfläche. Zunächst hielt er eine Fliege für den Störenfried, als er jedoch seine Augen aufschlug, entdeckte er zu seinem maßlosen Entsetzen eine stämmige Ratte, die mit entblößten Vorderzähnen seine Hand beschnupperte. Rai wollte dem feisten Nager keine Gelegenheit geben, einen Happen seines Fleisches zu kosten, und versetzte dem Tier deshalb einen Stoß, der die gewünschte Wirkung allerdings gänzlich verfehlte. Statt die Flucht zu ergreifen, schien die Ratte jetzt lediglich größeres Interesse an Rais Füßen zu entwickeln. Das war jedoch entschieden zu viel für den immer noch schlaftrunkenen Dieb. Er sprang auf und sorgte für einen angemessenen Abstand zwischen ihm und dem aufdringlichen Plagegeist. Erst nachdem das Nagetier schließlich auf der Suche nach einer weniger wehrhaften Nahrungsquelle zwischen einigen Kisten verschwunden war, wurde Rai endlich bewusst, dass die nächtliche Dunkelheit seine Umgebung nicht länger verhüllte. Zwar handelte es sich nur um ein diffuses graues Licht, das durch einige Risse im Mauerwerk und einen Spalt unter dem Eingangstor hereinsickerte, aber im Vergleich zur vergangenen Nacht war die Beleuchtung geradezu komfortabel.
Sorgfältig sah er sich um. Der Raum quoll über vor Kisten, Fässern, Regalen und Schränken, in denen Unmengen von Nahrungsmitteln, Werkzeugen, Geschirr, Bau- und Brennholz sowie Körbe, Decken und grobe Wollstoffe lagerten. Die Gerüche all dieser Waren vereinigten sich zu einer muffigen Duftwolke, die ein leichtes Gefühl von Übelkeit in Rai aufkommen ließ. In unmittelbarer Nähe des Eingangstores war der Transportkarren untergestellt, mit dem die Nahrungsvorräte zum Bergwerk gefahren wurden. Zahlreiche der dafür benutzten, etwa ein Schritt hohen, geflochtenen Tonnen standen rings um den Wagen am Boden.
Der Dieb schlängelte sich durch die schmale Gasse, die zwischen den aufgetürmten Vorräten geblieben war, und näherte sich den Vorratsbehältern, um ihren Inhalt in Augenschein zu nehmen. Ohne die ebenfalls aus Flechtwerk bestehenden Deckel der Körbe abnehmen zu müssen, konnte er bereits am Geruch erkennen, welche von ihnen den unvermeidlichen Salzhering enthielten. Er sparte sich die Mühe, dort hineinzusehen, und öffnete stattdessen ein anderes Behältnis, das ganz vorne neben dem Karren stand. Es zeigte sich, dass darin Brote gelagert wurden. Der Duft der halbwegs frischen, dunklen Laibe wirkte angenehm mild im Vergleich zu dem penetranten Fischgeruch. Rai begann, weitere mit Brot gefüllte Tonnen zu suchen. Als er vier davon gefunden hatte, verteilte er nach und nach etwa ein Drittel des Inhalts aus dem ersten Behälter auf diese anderen Körbe. Den Rest stapelte er einfach auf den Deckeln der umstehenden Tonnen, bis der Behälter vor ihm vollkommen leer war. Daraufhin warf er das Seil hinein, welches er immer noch über der Schulter trug, sowie einen Trinkwasserschlauch, von denen er ebenfalls einen ganzen Korb voll entdeckt hatte, und kletterte hinterher. So gut wie möglich bedeckte er seinen Körper mit den vorher ausgeräumten Broten, worauf er dann mit einiger Mühe den Deckel wieder über den Behälter zog. Er arbeitete sich noch etwas tiefer
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