Vermächtnis der Sünder: Das Spiel der falschen Prophetin (German Edition)
beruhigte Jeamy zugegebenermaßen. Sie war in ihren jungen Jahren ebenso einmal gewesen. Wie es in ihr aussah, ahnte niemand. Das zu erfahren, erlaubte sie keinem. Den Trotz und die herrische Fassade hatte sie bis jetzt aufrechterhalten, denn ein unbedachtes Zögern war für eine Anführerin der Tod. Schwäche zeigen konnte sie sich in ihrer Position nicht leisten. Nicht in früherer Zeit und jetzt erst recht nicht.
Der Anblick des glutrot erleuchteten Himmels ließ keine Zweifel aufkommen. Innere Unruhe überkam sie in diesem Moment. Sie fürchtete um das Leben der Beiden. Dies war jedoch der ungünstigste Zeitpunkt, Sorge zu zeigen. Schneidende Wind trieb ihr Schnee ins Gesicht, sodass sie angestrengt gegen diesen anblinzeln musste. Eisige Kälte brannte auf ihren Wangen. »Die Zeit drängt. Vorwärts!«, bellte Jeamy.
Dagos, der sie weit länger kannte, als irgendwer anderer, bemerkte das leichte Zittern in ihrer Stimme. Ein knapper Seitenblick seinerseits zeigte ihr, dass er es allzu gut verstand. Was er nicht bemerkte, war die Präsenz eines Wesens, das sie fühlte und um so mehr antrieb. Sie konnte nur hoffen, dass sie Celena rechtzeitig erreichten. Nur sie allein, die man Jeamy aus Osgosai nannte, war dazu in der Lage etwas gegen diesen Teufel in Menschengestalt auszurichten. Mochte der göttliche Schöpfer bei ihr sein, flehte sie innerlich. Sie spornte ihr Reittier zum Trab an und setzte sich an die Spitze der Truppe.
* * *
Rauchgeschwängerte Luft drang beißend in ihre Lungen, als sie einen tiefen Befreiungszug tat. Ein Husten durchschüttelte Celenas Körper. Ihre Hände suchten nach irgendeinen Halt. Schließlich fanden sie diesen in den Kanten eines zerbrochenen Seitenteils, das einmal einem Schrank gehörte. Mühsam stemmte sie sich, trotz des brüllenden Protestes ihrer Knochen hoch. Irgendwie gelang es der Kriegerin aus den Trümmern des Schrift hütenden Schrankungetüms, dessen Rückwand sie durchbrochen hatte, herauszuklettern. Es war nicht der einzig zerstörte Gegenstand, welcher chaotisch in dem Schöpferhaus herumlag. Flammen leckten rings um Celena über die Sitzbänke. Das Feuer verbrannte umliegende Teppiche und griff begierig nach den verstreut liegenden Kodizes. Deren Einbände leisteten hartnäckigen Widerstand, während das Wissen in ihnen derweil zu Asche verbrannt war. Celena hustete erneut auf.
Aus einem Reflex heraus hielt sie ihre Hand vor den unteren Gesichtsbereich, um weiteren Qualm nicht einzuatmen. Erst jetzt bemerkte sie den süßlichen Geschmack von Blut in ihrem Mund, der nur langsam verging. Sich umsehend, erhaschte sie einen Blick auf den Altar, dann sah sie zur zerborstenen Decke des hochgebauten Gebäudes hinauf. Beißender Rauch kroch trotz der vorgehaltenen Hand in ihren Rachen.
»Luk!«, krächzte sie halb räuspern, halb hüstelnd. Sie bekam keine Antwort. Ihr Herz pochte schneller vor Sorge um ihren Geliebten. Terzios Bemerkung, das sie selbst nicht mehr leben würde, wenn Lutek zu Tode kam, schlich sich in ihre Erinnerung. Sofort beruhigte sie ihren Lebensmuskel und ließ die Augen über die Trümmer wandern. Entsetzt gewahrte sie die Toten, die zum Teil halb begraben unter dem Schutt lagen. Einige der Körper waren zwischenzeitlich den Flammen zum Opfer gefallen und kaum noch als menschliche Körper auszumachen. Andere zeigten Verstümmelungen von rasenden Bestien auf. Zerrissen und angefressen oder von rostigen schartigen Waffen der Horsocks zerhackt, lagen die Leichenteile verstreut umher.
Ein leises Stöhnen in der Nähe drang an ihre Ohren.
Celena kämpfte sich einen Weg zu der von Schmerzen gepeinigten Überlebenden. Halb unter einer aus den Angeln gerissenen mächtigen Eichenholztüre begraben, lag eine Frau. Sie hatte schwere Verbrennungen, mutmaßte sie auf den ersten Blick. Der zweite Blick ließ eine eisige Klaue ihr Herz erstarren. Der Anblick des jungen Mädchen brachte sie beinahe um ihren Verstand. Sie hatte keine Verbrennungen. Anderes zeichnete ihren Körper. Es war nicht die irrationale Entstellung, die von dämonischer Besessenheit kündete. Die Haut der unglücklichen hatte sich durch das Gift der Bosheit schwarz gefärbt. Sie war von den verdorbenen Kreaturen infiziert worden. Weit mehr schockierten die tief eingefallenen Augen in ihren Höhlen und der unmenschlich aufgedunsene Körper. Was die Kriegerin vor sich sah, war das Schicksal aller lebender Hüter. Im Grunde waren sie es bereits mit jenem verfluchten Akt des Ritus. Lebende
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