Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
kontrollieren, zwang die Worte weich und kraftvoll über meine Lippen. Ansonsten wäre, das wusste ich, Brynn zusammengebrochen. „Nein. Wir müssen es niemandem sagen. Niemand darf davon erfahren.“ Ich wusste, dass ich kalt, sogar grausam klang. Aber wie gesagt, ich hatte einen Plan: Jahrgangsbeste, Volleyballstipendium, College, Jurastudium. Christopher war ein Fehler gewesen und die Schwangerschaft ein noch viel größerer. Ich musste nur dafür sorgen, dass Brynn einen kühlen Kopf behielt und mitmachte.
„Oh Alli.“ Brynns Kinn zitterte, und Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie stand kurz davor, die Fassung zu verlieren. „Ich bin in wenigen Minuten zurück“, sagte sie und deckte mich sorgfältig zu. „Ich will nur eben diese Handtücher wegschmeißen.“ Ich wollte einfach nur schlafen, nichts als schlafen. Ich wollte meine Augen schließen und verschwinden.
Mit meinen Armen drückte ich mich von dem klammen Bett hoch und schwang die Beine über die Bettkante. Der Schmerz zwischen meinen Beinen ließ mich beinahe laut aufschreien. Ichwartete, bis das Stechen zu einem dumpfen Pochen geworden war, und stand dann auf, wobei ich mich am Nachttisch festhielt, um das Gleichgewicht zu halten. Ich schaute in die andere Ecke des Zimmers, wo Brynn das Baby gelassen hatte. Ich kann das, sagte ich mir, ich muss es einfach tun.
Mich abstützend sah ich an mir herunter, entdeckte die rostfarbenen Flecken an meinen Oberschenkeln. Brynn hatte versucht, mich, so gut es geht, zu säubern, aber das Blut tröpfelte immer noch an meinen Beinen entlang. Ich stöhnte. Da war so viel Blut. In der Ecke sah ich das Laken, in das Brynn das Baby gewickelt hatte. Sie schien so weit weg zu sein. Ich musste mich anziehen und alles sauber machen. Bald würde es dunkel sein, und es bestand jederzeit die Möglichkeit, dass meine Eltern früher nach Hause kämen. Ich musste eine Entscheidung treffen. Durch das Geräusch des auf das Dach prasselnden Regens dachte ich, Brynn unten zu hören und das Zuschlagen der Fliegengittertür. Ich wusste, was ich tun musste, wohin ich sie bringen sollte. Es wäre, als wenn sie nie hier gewesen wäre, nie existiert hätte. Danach würde ich zurück nach Hause eilen, mein Zimmer in Ordnung bringen und die nächsten Tage über so tun, als hätte ich eine Grippe. Dann würde alles wieder seinen normalen Gang gehen. Das musste es einfach.
Aber die Sache schien niemals irgendwie ein richtiges Ende zu finden. Sie hat sich an mich geheftet und an Brynn und sogar an meine Eltern wie irgendein bösartiger Tumor, von dem wir uns nie wieder werden befreien können. Ich fange an zu weinen. Mein ganzes Leben lang habe ich immer alles richtig gemacht, und dann passiert mir so was, und meine Zukunft ist ruiniert. Ein einziger blöder Fehler. Das ist einfach nicht fair.
CLAIRE
Als Claire das alte Haus im viktorianischen Stil betritt, das sie und Jonathan zwölf Jahre zuvor gekauft und restauriert haben, nimmt sie sich vor, Charm in ein paar Tagen anzurufen, um zu fragen, wie es ihr geht. Über die Jahre hat Claire echte Zuneigung für dieses runde, sanftmütige Mädchen, das eine Vorliebe für Selbsthilfebücher hat, entwickelt. Als Charm vor einigen Jahren das Buch „Scheidung – was nun“ gekauft hat, hat Claire erfahren, dass Charm seit ihrem zehnten Lebensjahr bei ihrem Stiefvater Gus gelebt hat, selbst nachdem ihre Mutter sich von ihm hatte scheiden lassen und weggezogen war. Kurze Zeit später erwarb sie „Brüder und Schwestern: eine Verbindung fürs Leben“ und erzählte Claire, dass sie ihren älteren Bruder zwar seit Jahren nicht gesehen hat, aber vorbereitet sein wollte, falls er jemals zurückkehren sollte. Zu Beginn ihres Studiums kam Charm mit einer Bücherliste in den Laden und erzählte Claire, dass sie Krankenschwester werden wolle und bei Gus vor Kurzem Lungenkrebs diagnostiziert worden war. Aber auch um Bücher für ihre Freunde zu kaufen, kam Charm in den Laden – so wie zum Beispiel das über Baseball für ihren ersten Freund.
Einmal kaufte sie sogar ein Exemplar von „Mutter: eine Wiege, die mich hält“ von Maya Angelou für ihre Mom, der sie wieder näherzukommen versuchte. „Sie hat es nicht verstanden“, hatte Charm später erklärt. „Sie dachte, ich mache mich über sie lustig, indem ich ihr einen Gedichtband kaufe und ihr damit ihr Versagen als Mutter vorwerfe. Ich kann bei ihr einfach nicht gewinnen.“ Charm erzählte das so traurig, dass Claire nur Trost in dem
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