Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
auszuprobieren“, gibt Claire zu. „Manchmal scheint es, als wäre er in seine eigene kleine Welt abgetaucht, und es ist dann manchmal schwer, ihn da wieder rauszuholen.“
„Das ist bei einem Kind im Vorschulalter nicht ungewöhnlich, Mrs Kelby“, versichert Mrs Lovelace. „Ich verspreche, ein Auge auf ihn zu haben und Sie sofort zu informieren, wenn irgendwelche Probleme auftreten.“
„Joshua hatte außerdem kürzlich ein sehr traumatisches Erlebnis.“ Claire versucht, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Jonathan hält ihr die Hand. „Letzte Woche wurde ich in meinem Buchladen überfallen, und Joshua war dabei und hat alles gesehen. Es hat ihm – und auch mir – fürchterliche Angst gemacht.“ Claire schüttelt den Kopf bei der Erinnerung an die Diebe und das Glitzern des Messers in der Hand des großen Jungen.
„Die Polizei hat sie noch nicht gefasst“, fährt Jonathan fort. „Und Joshua macht sich Sorgen, wenn er nicht ständig bei Claire ist. Er hat das Gefühl, sie beschützen zu müssen.“
Mrs Lovelace runzelt besorgt die Stirn. „Danke, dass Sie mir das erzählt haben. Lassen Sie uns abwarten, wie Joshua die ersten Tage in der Schule übersteht, und uns dann noch einmal zusammensetzen. Wir können jederzeit den Schulpsychologen einschalten, wenn das nötig sein sollte. Alle Vorschüler brauchen eine gewisse Zeit, sich hier einzugewöhnen, und manche ein wenig länger als andere.“ Sie steht auf und geht zu Joshua hinüber, der in seiner Festung sitzt. „Es war schön, dich kennenzulernen, Joshua“, sagt sie.
„Auch schön, Sie kennenzulernen“, erwidert er kaum hörbar.
Mrs Lovelace richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf Claire und Jonathan. „Es war auch schön, Sie kennenzulernen, Mr und Mrs Kelby. Wenn Sie Lust haben, als Begleitperson an einem unserer unglaublichen Vorschulausflüge teilzunehmen, lassen Sie es mich wissen.“ Deutlich lauter sagt sie dann: „Diesen Herbst werden wir die Feuerwache, die Apfelplantage und das Kürbisfeldbesuchen. Im Winter gehen wir auf dem Hügel hinter der Schule Schlitten fahren und machen Lebkuchenhäuschen. Und im Frühling kommt der beste Ausflug von allen!“
„Oh, was denn für einer?“, will Claire wissen.
„Das verraten wir am ersten Schultag. Dieser Ausflug ist einfach zu besonders.“ Die drei schauen verstohlen zu Joshua hinüber. Er sitzt immer noch hinter der Mauer, aber seine Zehen in den Sandalen schauen hervor und schieben sich langsam vorwärts.
„Hm, ich schätze, dann müssen wir wohl bis dahin warten, um es zu erfahren. Komm, Josh“, sagt Jonathan. „Was sagst du zu Mrs Lovelace dafür, dass sie dich mit diesen tollen Steinen hat spielen lassen?“
„Danke“, kommt Joshuas schüchterne Antwort.
„Gern geschehen, Joshua“, sagt Mrs Lovelace warmherzig. „Die Steine warten an deinem ersten Schultag hier auf dich.“
Jonathan streckt Joshua die Hand hin, um ihm vom Boden aufzuhelfen, aber Joshua ignoriert sie und steht allein auf. Dann geht er seinen Eltern voraus aus dem Klassenzimmer. Seine Schritte hallen von dem frisch gebohnerten Fußboden wider. Er geht langsam, den Kopf gesenkt, seine Schultern streifen die bunt gestrichene Betonwand.
„Oh Josh“, flüstert Claire, wohl wissend, dass er sie nicht hören kann. „Alles wird gut.“
ALLISON
Ich bin nervös wegen meines bevorstehenden Bewerbungsgesprächs im Buchladen. Ich hatte noch nie einen echten Job – in der Highschool hatte ich für so etwas keine Zeit. Oh, wir haben in Cravenville Vorstellungsgespräche geübt, und Olene hat gestern Abend alles einmal mit mir durchgespielt, aber ich bin trotzdem ganz krank vor Aufregung. Ich bin mir nicht sicher, warum die Besitzerin des Buchladens einen ehemaligen Sträfling einstellen will, aber sie gibt mir eine Chance. Olene sagte mir, dass es eine ganze Reihe Steuervorteile für Firmen gibt, die Leute wie mich anstellen.
„Weiß sie, weshalb ich im Gefängnis gesessen habe?“, frage ich Olene, bevor ich aufbreche. Bookends liegt nur wenige Querstraßen vom Gertrude House entfernt, und wenn ich den Job bekomme, kann ich zu Fuß zur Arbeit gehen.
„Sie weiß das Wesentliche“, erklärt Olene. „Aber sie will helfen. Dafür spricht auch, dass der Staat einen Teil deines Gehalts übernimmt.“
„Wie sehe ich aus?“ Ich breite die Arme aus und drehe mich einmal im Kreis. Ich habe mich schick gemacht, mir Klamotten von Bea geliehen. Der Rock ist ein wenig zu kurz, die Ärmel enden direkt
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