Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
die Köpfe über die Schulsachen gebeugt. Als siefertig sind, hat die Glocke bereits geläutet und nur noch wenige Schüler lungern draußen vor den Türen herum.
„Sieh mal, Joshua“, sagt Claire. „Alle anderen Kinder sind schon reingegangen. Du darfst doch aber an deinem ersten Tag in der Vorschule nicht zu spät kommen. Und wie es aussieht, hast du ja alles, was du brauchst.“ Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zum Vordereingang des Gebäudes. Joshua geht langsam und zieht seine Füße förmlich hinter sich her. Als sie direkt vor Mrs Lovelaces Klassenzimmer stehen bleiben, wirft Joshua einen Blick hinein. Wehmütig betrachtet er die Gruppe aus zwanzig meist glücklich wirkenden Kindern, die heute ihren ersten Schultag haben. Er schaut seine Eltern an, um seine Lippen zuckt es nervös.
„Ich geh dann mal“, sagt er und klingt viel reifer, als er mit seinen fünf Jahren ist. „Wir sehen uns später, nach der Schule.“ In seiner Stimme liegt eine gewisse Traurigkeit, und Claire spürt, wie ihr das Herz bricht. Sie zieht ihn in die Arme. Nachdem sie ihn wieder losgelassen hat, nimmt er Jonathan den Rucksack ab und macht einen vorsichtigen Schritt in das Klassenzimmer hinein, als würde er zu seiner eigenen Hinrichtung gehen. Claire beißt sich innen auf die Wange und versucht, die Tränen zu unterdrücken, die ihr in die Augen schießen. Warum muss für Joshua alles immer so schwer sein?
Sie hakt sich bei Jonathan unter, und gemeinsam sehen sie zu, wie Joshua sich in den Klassenraum schleicht, wo er von Mrs Lovelace begrüßt wird, die ihm auch hilft, seinen Platz zu finden. „Sieh ihn dir an“, flüstert Claire.
„Ja, sieh ihn dir an“, stimmt Jonathan zu.
Sie bleiben so lange im Türrahmen stehen, bis Mrs Lovelace ihnen ein Zeichen gibt, dass alles in Ordnung ist, und sie freundlich verscheucht. Auf dem Weg zum Auto dreht Claire sich mehrere Male zum Gebäude um, als erwarte sie, dass Joshua jeden Moment herausgestürmt kommt und sie anfleht, ihn nicht hierzulassen. Sie weiß, dass sie es nicht sein sollte, aber sie ist trotzdem ein wenig traurig. Joshua wird sie nie wieder so brauchen wiebisher. Andere Menschen, Lehrer und Freunde, werden in sein Leben treten. Und das ist auch gut so, tröstet sie sich. Sie sollte froh darüber sein, dass der Morgen so friedlich verlaufen ist, dass Joshua allein und ohne einen größeren Zusammenbruch in die Klasse gegangen ist, aber Claire ist nicht froh. Erleichtert vielleicht, aber definitiv nicht froh. „Es wird ihm gut gehen“, sagt Jonathan und greift nach der Hand seiner Frau.
„Ich weiß“, erwidert Claire steif und lässt sich auf dem Beifahrersitz nieder. „Ich kann nur nicht glauben, dass er jetzt tatsächlich in der Vorschule ist. Erstens dachte ich, dieser Tag würde nie kommen, und zweitens hätte ich nicht geglaubt, dass es so glattgehen würde.“
„Lass uns frühstücken“, schlägt Jonathan unvermittelt vor.
„Oh, ich kann nicht“, protestiert Claire. „Ich muss den Laden aufschließen. Es ist sowieso schon zu spät.“ Sie wirft einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Acht Uhr fünfzig. In zehn Minuten soll der Laden geöffnet werden.
„Dann lass uns noch einen kleinen Abstecher nach Hause machen“, schlägt er vielsagend vor und lässt seine Hand zwischen ihre Oberschenkel gleiten.
„Jonathan!“ Claire lacht und schiebt seine Hand fort. „Ich habe keine Zeit.“
„Komm schon, wie oft haben wir das Haus für uns?“ Er legt ihr die Hand aufs Knie.
„Wirklich?“, fragt Claire. Seine Impulsivität überrascht sie.
„Ja, wirklich“, erwidert er und lässt die Hand unter ihre Bluse wandern.
Claire küsst ihn sanft auf den Hals und dreht dann sein Gesicht zu sich. Dann liebkost sie seine Unterlippe mit der Zunge. Ein Gefühl der Sehnsucht breitet sich in ihr aus, süß und hoffnungsvoll.
„Bitte“, flüstert sie Jonathan ins Ohr. „Bring mich nach Hause.“
BRYNN
Als ich endlich an der Schule ankomme, sehe ich Missy mit einer Gruppe von Mädchen am Kaffeekiosk stehen. Sie schaut direkt durch mich hindurch. Ich gehe zu ihr, und sie sagt Hallo, wendet sich aber sofort wieder ihrer Unterhaltung mit den anderen Mädchen zu. Es ist, als existiere ich überhaupt nicht.
Der Junge von der Party muss ihr von mir erzählt haben. Und von Allison.
Dann wird es hier jetzt also genauso werden wie in Linden Falls.
Anfangs dachte ich, nichts könnte schlimmer sein, als Allison nicht mehr zu Hause zu haben. Das Haus war so
Weitere Kostenlose Bücher