Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
ziemlich seltsam.“
„Er war vermutlich high“, sagt Charm, und Reanne hebt leicht das Kinn.
„Er klang nicht high“, verteidigt sie ihn, wechselt dann aber schnell das Thema. „Hat Gus je darüber gesprochen, was er mit dem Haus machen will?“
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts darüber weiß.“ Allmählich wird Charm ungeduldig. Ihr Kopf tut weh vom Weinen. Sie will einfach nur fort von ihrer Mutter.
Da flüstert Reanne ihr ins Ohr: „Der einzige Grund, wiesoGus dich bei sich hat bleiben lassen, war, weil er mich wiederhaben wollte. Er dachte, wenn er nett zu dir ist, komme ich zu ihm zurück.“
Charm hat vor langer Zeit gelernt, dass der beste Weg, um ihre Mutter zu nerven, ist, ganz ruhig zu sprechen. „Er hat sich genug aus mir gemacht, um mir das Haus und seine Ersparnisse zu hinterlassen. Und was hat er dir zugedacht?“ Um des Effekts willen legt sie eine kleine Pause ein. „Nichts. Er hat dir gar nichts hinterlassen.“
Reannes Lippen zittern. „Ich bin immer noch deine Mutter. Du hast kein Recht, so mit mir zu sprechen.“
Die Leute strömen aus der Kirche und drängen sich zwischen Charm und ihre Mutter. Sie umarmen Charm und sagen ihr, wie stolz Gus auf sie war, dass er oft darüber gesprochen hat, was für ein kluges Mädchen sie sei, dass sie es in dieser Welt noch einmal weit bringen würde und eine wunderbare Krankenschwester sei. Charm fängt wieder an zu weinen. Überraschenderweise schiebt Reanne sich durch die Menge, legt ihr einen Arm um die Schulter und zieht ihre Tochter eng an sich heran. „Schsch, Charm, ist ja alles gut“, versucht sie, ihre Tochter zu beruhigen. Charm hebt den Kopf und sieht durch die Tränen, dass ihre Mutter sie nicht einmal anschaut, während sie diese tröstenden Worte sagt, sondern stattdessen verstohlen die umstehenden Menschen beobachtet.
Charm entzieht sich der Umarmung ihrer Mutter und sagt zu Jane: „Kann ich mit dir zum Friedhof fahren?“
Nach dem Begräbnis findet Reanne erneut den Weg an Charms Seite, aber dieses Mal wird sie von Binks begleitet.
„Hey, Princess Charming“, witzelt er wie jedes Mal, wenn sie sich sehen. „Tut mir leid wegen … Gus.“
„Danke“, sagt Charm und wünscht, die beiden würden einfach gehen.
„Wie bist du eigentlich zu dem Namen Charm gekommen?“, fragt er.
„Frag meine Mutter, die hat ihn sich ausgedacht“, erwidert sieund bemüht sich, nicht zu unfreundlich zu klingen.
„Du warst mein Glücksbringer, mein Charm“, sagt Reanne. Sie holt eine Zigarette und ein Feuerzeug heraus.
„Mom, nicht hier“, tadelt Charm sie. „Das ist eine Beerdigung, um Himmels willen.“
Reanne ignoriert sie und bläst den Zigarettenrauch aus dem Mundwinkel hinaus. „Nach deiner Geburt wusste ich, dass alles gut würde. Ich würde heiraten, ein kleines Häuschen haben. Eine Weile hat es ja auch funktioniert.“ Reanne zuckt mit den Schultern. Staunend betrachtet Charm ihre Mutter und kann sich nicht vorstellen, dass es irgendeinen Menschen auf der Welt gibt, dem sie weniger ähnlich ist als ihr. Als Charm jünger war, hat Reanne oft gelacht, und nichts hat sie je wirklich gestört. Sie hat sich keine Gedanken über Geld oder Rechnungen gemacht oder ob sie genug zu essen im Haus hatte. Nur wenn man etwas abseits saß und sie ohne ihr Wissen beobachtete, konnte man den harten Zug um ihre Augen herum erkennen. Sie konnte so eine lustige Mutter sein, aber sie war keine gute Mutter. Reanne lacht gequält auf. „Doch dann hat sich mein Glück in Scheiße verwandelt.“
„Hey, sehe ich etwa wie Scheiße aus?“ Sie hat Binks’ Gefühle verletzt.
„Nein, Hon“, beruhigt ihn Reanne. „Ich meine doch nur, dass ich das Haus nicht mehr habe. Ich vermisse es wirklich, ein eigenes Haus zu haben.“
„Du hättest bei meinem Vater bleiben können – er hatte ein Haus. Juan hatte auch ein Haus, sogar dieser Typ Les hatte eins. Gus auch“, stößt Charm wütend hervor. Sie kann einfach nicht anders. Alle anderen Trauergäste sind fort, bis auf Jane, die in ihrem Auto auf Charm wartet.
„Charm, du weißt, dass ich nicht bei deinem Vater bleiben konnte“, sagt Reanne weinerlich. „Er hat mich betrogen und deinen Bruder geschlagen.“ Charm verdreht frustriert die Augen; ihre Mutter kapiert wie immer nicht, worum es wirklich geht.
„Du hast dich mit einem Kerl namens Juan getroffen?“, fragt Binks ungläubig.
„Er war nett“, merkt Charm an.
„Er kam mit den kulturellen Unterschieden nicht
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