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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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einen sparsamen Genotyp unterlagen. Die Pima waren anfangs genau wie andere amerikanische Ureinwohner regelmäßig wiederkehrenden Hungerperioden ausgesetzt. Ende des 19 . Jahrhunderts, als weiße Siedler ihnen die Wasserquellen für ihre Bewässerungssysteme abschnitten und damit ihre Ernte ruinierten, erlebten sie eine weitere längere Phase des Mangels und der Selektion. Bei den überlebenden Pima handelte es sich um Personen, die genetisch noch besser als andere amerikanische Ureinwohner darauf eingestellt waren, den Hunger zu überleben, weil sie immer dann Fett einlagerten, wenn Nahrung zur Verfügung stand. Ähnliches galt auch für die Bewohner von Nauru: Sie durchlebten zwei extreme Phasen der natürlichen Selektion auf sparsame Gene, gefolgt von einer extremen Welle der Coca-Colonisierung. Zunächst wurde ihre Population wie die anderer Inselbewohner im Pazifik – aber im Gegensatz zu den Bewohnern der Kontinente – von Menschen begründet, die über mehrere Wochen im Kanu von Insel zu Insel gereist waren. In zahlreichen belegten Fällen solcher langwierigen Reisen starben viele oder die meisten Kanufahrer an Hunger, und nur diejenigen, die ursprünglich am dicksten waren, überlebten. Das ist der Grund, warum die Inselbewohner im Pazifik ganz allgemein zu einem hohen Körpergewicht neigen. Und zweitens erlebten die Bewohner von Nauru während des Zweiten Weltkrieges sogar im Vergleich zu anderen Inselbewohnern der Region eine extreme Hungersnot und Sterblichkeit, und dies führte in der Bevölkerung vermutlich zu einer noch stärkeren Anreicherung von Genen, die für Diabetes disponieren. Nach dem Krieg führten dann der neue, durch die Phosphat-Abbaugebühren finanzierte Wohlstand, das Überangebot an Nahrung und die verminderte Notwendigkeit körperlicher Aktivität zu einer außergewöhnlich starken Fettleibigkeit.
    Für die Plausibilität von Neels Hypothese der sparsamen Gene sprechen drei Indizienketten an Menschen und zwei Tiermodelle. Bei Bewohnern von Nauru, Pima-Indianern, Afroamerikanern und australischen Ureinwohnern, die nicht an Diabetes leiden, ist der Plasma-Insulinspiegel nach einer Mahlzeit (das heißt nach der oralen Aufnahme von Glucose) mehrere Male höher als bei Europäern. Hochlandbewohner aus Neuguinea, australische Ureinwohnern, Massai aus Kenia und andere Völker mit traditioneller Lebensweise haben einen weitaus niedrigeren Blutzuckerspiegel als weiße Amerikaner. Bei großem Nahrungsangebot neigen die Diabetes-anfälligen Bevölkerungsgruppen der Pazifik-Inselbewohner sowie der amerikanischen und australischen Ureinwohner stärker zu Fettleibigkeit als Europäer: Sie nehmen erst zu, dann bekommen sie Diabetes. Und was die Tiermodelle angeht, so überleben Laborratten mit Genen, die sie anfällig für Diabetes und Übergewicht machen, eine Hungerphase besser als ihre normalen Artgenossen; auch dies zeigt, dass solche Gene unter Bedingungen des gelegentlichen Mangels von Vorteil sind. Bei der in Israel heimischen Fetten Sandratte, die an einen Lebensraum in der Wüste und häufige Nahrungsknappheit angepasst ist, entwickeln sich ein hoher Insulinspiegel, Insulinresistenz, Übergewicht und Diabetes, wenn man sie im Labor mit einer »westlich geprägten Rattenernährung« und einem Überangebot an Futter versorgt. Die Symptome verschwinden jedoch wieder, wenn man das Nahrungsangebot für die Ratten einschränkt. Diabetes-anfällige Laborratten und israelische Fette Sandratten sind also ein gutes Modell sowohl für den Nutzen sparsamer Gene mit ihrer schnellen Auslösung der Insulinausschüttung unter »traditionellen Rattenbedingungen« mit Hunger und Überfluss, als auch für den Nachteil, den diese Gene unter »Supermarkt-Rattenbedingungen« bedeuten.
    Warum ist Diabetes bei Europäern selten?
    Diabetesforscher verweisen gern auf die Pima und die Bewohner von Nauru als krasse Ausnahmen der hohen Diabeteshäufigkeit in einer Welt, in der das relativ seltene Auftreten der Krankheit bei Europäern als Normalfall galt. Wie sich jedoch durch die Befunde der letzten Jahrzehnte gezeigt hat, sind in Wirklichkeit die Europäer mit ihrer geringen Diabeteshäufigkeit die Ausnahme; sie steht im Gegensatz zur hohen Häufigkeit in allen anderen Bevölkerungsgruppen mit westlich geprägter Lebensweise. Pima und die Bewohner von Nauru bilden »nur« den Höhepunkt einer ohnehin normalen, hohen Häufigkeit, und manche Gruppen der australischen Ureinwohner und Neuguineer reichen bereits an

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