Vermählt mit einem Fremden
knapp. „Zum Glück konnte ich die Dame überzeugen, dass Hilfe nahte. Im Übrigen schulden Sie mir noch etwas, denn – welch ein Zufall! – dem Poisson Rouge wurde gestern ein Fässchen Brandy zugespielt, an dem sich natürlich Noir und seine Spießgesellen ausgiebig bedienten. Aber nun rasch! Legen Sie ab! – Ah, zu spät!“, rief er, als jäh ein Pistolenschuss knallte. „Man hat doch etwas gemerkt.“
„In Deckung!“, befahl Lucius, drückte die Frau hinter der Reling nieder, und der Schmuggler legte ihr das Kind in den Arm, während schon ein weiterer Schuss ertönte. Erleichtert sah Lucius, wie Harriette hinter den Aufbauten verschwand, dann stürzte er sich zusammen mit Adam und Captain Henri auf die nahenden Angreifer. Ob sie aus dieser Sache heil herauskamen? Noir hielt drohend die Pistole in der Hand, und ein paar untersetzte Gestalten, mit Knüppeln und Messern bewaffnet, bildeten seine Verstärkung.
„Verdammt schlau, die Sache mit dem Brandy!“, keuchte Noir atemlos. „Aber für die List werden Sie bezahlen.“ Er hob die Pistole.
Im gleichen Moment tauchte eine Gestalt auf – Harriette, ein Messer, zum Kampf bereit, in der Hand. Lucius schwankte zwischen Angst um sie und Bewunderung, weil sie seinem Befehl zum Trotz ihm zu Hilfe eilte. Herrgott, er sollte sie prügeln für ihren Starrsinn! Herrgott, er liebte sie!
„Noir, ehe Sie eine Dummheit begehen, sollten Sie sich umsehen. Wir sind nicht allein!“, rief sie furchtlos.
„Der alte Trick!“, knurrte Noir, fuhr aber dennoch herum – und sah sich Marcels kräftigen Männern gegenüber.
Vor Erleichterung musste Lucius lachen. Sein Respekt vor Harriette stieg ins Unermessliche. Nicht nur war sie an seine Seite geeilt, sondern hatte noch dazu diese hübsche Falle gestellt.
„Schlagt zu, mes amis !“, rief er, und auf dem Kai brach die Hölle aus. Keinen Widerspruch duldend, schob er Harriette hinter ein paar Kisten in Deckung, ehe er sich selbst ins Getümmel stürzte. Schläge klatschten, Schmerzensschreie und Grunzen hallten durch die Nacht, und bald befanden sich Noirs Leute auf dem Rückzug. Als der Schurke das sah, hob er die Pistole, doch Lucius war schneller; er schoss, und Noir ließ, am Ellbogen getroffen, das Schießeisen fallen und brach aufheulend zusammen. Zwei der Schmuggler packten ihn und zerrten ihn vor Lucius.
„Dieser Zug ging an mich, Monsieur“, bemerkte er kalt.
Wütend spie Noir vor ihm aus.
„Was sollen wir mit dem anfangen?“, fragte Marcel. „Erledigen wir ihn?“
„Meinetwegen, er verdient es nicht anders.“ Einen Augenblick gewannen Rachegelüste die Oberhand, ehe er sich fing. „Nein, lasst ihn laufen“, befahl er mit so selbstverständlicher Autorität, dass die Schmuggler Noir losließen.
„Aber ein bisschen amüsieren dürfen wir uns doch, oder?“, fragte Marcel grinsend, und als Lucius nickte, holte er zu einem gewaltigen Boxhieb aus. Am Kinn getroffen, taumelte Noir rückwärts über die Kaimauer und klatschte in das schmutzige Hafenwasser. Begeistert aufbrüllend packten die Schmuggler sich den Rest der Bande und stießen sie ihrem Anführer hinterher.
Nun aber war keine Zeit mehr zu verlieren. Harriette sprang an Bord, brachte die junge Frau mit ihrem Kind zum Achterdeck und bedeutete ihr, es sich auf einem Stapel Segeltuch bequem zu machen.
Derweilen hatten Lucius und Adam sich mit überströmenden Dankesworten von Marcel und Captain Henri verabschiedet und beeilten sich, ebenfalls an Bord des Kutters zu gelangen, der sofort ablegte. Vom Kai kam ein letzter Abschiedsruf von Marcel und seinen Mannen, dann waren alle Segel gehisst, und die Lydyard’s Ghost glitt beinahe lautlos in die Nacht hinaus, heimwärts.
Lucius ging zu Harriette, die am Steuerrad stand. „Geschafft! Gott sei Dank! Wir haben gesiegt.“
Sie sah ihn an. Genau wie sie selbst glühte er immer noch von dem Abenteuer des Kampfes. Abrupt wandte sie sich ab und reckte ihr Gesicht dem Wind entgegen. „Ja, wir haben gesiegt“, stimmte sie zu. „Aber wie war es euch gelungen, die junge Frau so schnell zu befreien?“
„Captain Henri hatte gut vorgearbeitet. Ein Fass Brandy genügte, um Noirs Genossen abzulenken. In ihrer Betrunkenheit merkten sie nicht, dass er sie samt dem Kind durch eine Hintertür aus dem Gasthof schleuste. Als Adam und ich ankamen, brauchten wir sie nur noch in Empfang zu nehmen. Leider bekam Noir dann doch noch Wind von der Flucht, wie du gesehen hast. Nun muss sich noch erweisen, ob
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