Vermählung um Mitternacht
und rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Er roch genießerisch daran und musterte kurz seinen Begleiter. »Wenn es dich überhaupt nicht kümmert, was Mr. Everard schreibt, wieso besuchen wir ihn dann?«
»Weil er die Ehre ... « Alec brach ab und riss sich mit sichtlicher Anstrengung zusammen. »Ist ja egal. Jedenfalls wird er derartige Lügen nicht noch mal verbreiten. «
Aha, sie waren also unterwegs, die Ehre einer Dame zu verteidigen! Lucien grinste und fragte sich, inwieweit Alecs Zorn auf seinen verletzten Stolz zurückzuführen sei und inwieweit auf ein tieferes, ernsteres Gefühl. Er hatte den Verdacht, dass Alec weitaus mehr für seine unkonventionelle Frau empfand, als er selbst ahnte.
Der Jagdwagen hielt vor einer Reihe schäbiger Büros, in denen die »Morning Post« untergebracht war. Lucien hielt die Zügel, während Alec hineinmarschierte und kurz darauf mit einem blutigen Stück Papier zurückkam, auf dem eine hastig hingekritzelte Adresse stand.
Lucien sah die Schramme an Alecs Hand. »Irgendwelche Probleme?«
Alec zog ein Taschentuch heraus und wickelte es sich um die Hand. Auf dem feinen Leinen breitete sich ein Blutfleck aus. »Nein. Sie waren erstaunlich hilfsbereit.«
»Na, so ein Glück.«
Alec nickte. »Für sie.«
Lucien schwieg. In Alecs augenblicklicher Stimmung konnte jede Antwort dazu führen, dass er die Beherrschung vollends verlor. Schweigend fuhren sie in die Laura Street 10.
Alec stieg aus und warf Lucien die Zügel zu. »Es dauert nicht lange.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nein. Das ist eine persönliche Angelegenheit zwischen Mr. Everard und mir.«
Lucien nickte und schaute seinem Freund nach, der eine schmale Treppe hinaufstieg. Noch nie hatte er erlebt, dass Alec sich so viel aus der Meinung anderer machte. Tatsächlich hatte er sich in den letzten vier Monaten ganz erstaunlich verändert, und besonders fiel dieser Wandel auf, wenn Alec mit Julia zusammen war. Dann schien die Luft vor Spannung förmlich zu knistern.
Mit einem leisen Lachen zündete Lucien die Zigarre an, zog den Hut in die Stirn und betrachtete die verwitterte Tür, durch die sein Freund soeben verschwunden war. Alles in allem hielt er die Geschichte eigentlich für sehr amüsant.
Eine halbe Stunde später kam Alec zurück, leicht derangiert, aber noch heil. Obwohl er eine Schramme am Kiefer und am Kinn eine Beule hatte, wirkte er erstaunlich zufrieden.
»Wie ich sehe, hat Mr. Everard Eindruck auf dich gemacht«, meinte Lucien trocken und nahm die Zügel auf.
Alec verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. »Der Eindruck, den ich hinterlassen habe, war bei weitem größer.«
»Hat er verraten, woher die falschen Informationen stammten?« Alec nickte. »Von Nick.«
»Natürlich.« Lucien setzte den Jagdwagen in Bewegung. »Dachte ich mir doch, dass dahinter die Handschrift deines ruchlosen Vetters steckt. Wie ist ihm die Schurkerei denn diesmal gelungen? Bestechung? Erpressung?«
»Nick hat Mr. Everards Schuldscheine von einer gewissen Spielhölle übernommen. Fast tausend Pfund.«
»Wie bedauerlich für Mr. Everard.«
Alecs Miene verfinsterte sich. »Er hatte mit Nick schon früher zu tun. Anscheinend schreibt Mr. Everard auch die Gesellschaftsnachrichten. Nick hat sich seiner bedient, um seine Feinde zu diskreditieren.«
»Donnerwetter! Du hattest Recht: Nick ist wirklich ein hinterhältiger Schurke!« Lucien zügelte die Pferde, damit ein Kindermädchen mit seinen Schützlingen die Straße überqueren konnte. »Was hast du jetzt vor?«
»Mr. Everard schreibt einen Widerruf«, entgegnete Alec mit grimmigem Lächeln.
»Das wird nicht genügen, außerdem kommt er zu spät.«
»Mr. Everard will sich nicht nur öffentlich entschuldigen, sondern er hat sich auch bereit erklärt, mich morgen zur Zusammenkunft der Testamentsvollstrecker zu begleiten und alles über seinen Handel mit Nick zu erzählen.«
Lucien runzelte die Stirn und setzte den Jagdwagen wieder in Bewegung. »Vielleicht hätten wir ihn gleich mitnehmen sollen, falls er es sich anders überlegt.«
»Und dann? Hätten wir ihn bei uns im Keller einsperren sollen? Überleg doch mal, wie das aussehen würde, wenn die Testamentsvollstrecker davon erführen.«
Lucien seufzte und nickte. »Du hast wohl Recht. Es würde gewiss herauskommen.«
Alec holte ein zusammengefaltetes Stück Papier aus der Tasche.
»Aus diesem Grund habe ich ihn gezwungen, mir einen Schuldschein über zweitausend Pfund zu unterschreiben.«
»Und
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