Vermiss mein nicht
Matrix? Ein Man in Black? Oder vielleicht ein überkandidelter Fan von Johnny Cash?«
Keine Antwort. Ich seufzte. »Sollen Sie aufpassen, dass ich nicht weglaufe?«
Wieder keine Antwort.
»Würden Sie mich erschießen, wenn ich es versuche?«, hakte ich nach. »Was denken die sich eigentlich dabei, mir so eine Begleitung aufzuzwingen – hält man mich für kriminell oder was? Nur damit das klar ist«, fuhr ich fort, »ich finde Ihre Anwesenheit alles andere als angenehm.«
Aber Jason ließ sich nicht aus der Reserve locken und starrte stumm und stur weiter geradeaus.
Endlich erschien Bobby wieder und knallte die Tür hinter sich zu. »Alles klar, ich hab sie.«
Ich nahm die Uhr aus seiner Hand und inspizierte sie.
»Ist das Ihre?« Zum ersten Mal brach Jason sein Schweigen und blickte mir tief in die Augen.
Die Uhr, die Bobby mitgebracht hatte, war aus Silber und hatte ein Zifferblatt aus Perlmutt wie meine, aber da hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf. Statt eines feingliedrigen Silberarmbands wurde sie von einem breiten Riemen gehalten, außerdem war sie nicht rechteckig, sondern rund.
»Jawohl«, antwortete ich selbstbewusst. »Das ist meine Uhr.«
Jason nahm sie und machte Anstalten, sie mir umzulegen. Leider zeigte sich schnell, dass sie für mein schmales Handgelenk viel zu groß war. »Bobby«, meinte er und rieb sich müde die Augen. »Hol Sandy eine andere Uhr. Diesmal aber bitte eine, die passt.«
Überrascht sahen wir ihn an.
»
Deshalb
bin ich mitgekommen«, erklärte er und kehrte unbeirrt an seinem Platz auf der Veranda zurück.
Bobby war schon unterwegs in seinen Laden, als Jason sich noch einmal umdrehte und ihm nachrief: »Ach ja, Bobby – sorg dafür, dass der Verschluss kaputt ist. Sandy hat in der Versammlung behauptet, dass sie die Uhr deshalb nicht anhat, richtig?«
Ich nickte, immer noch sprachlos.
»Tja, jetzt fällt Ihnen wohl endlich nichts mehr zu sagen ein, was?«, war sein trockener Kommentar, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder ganz dem Wald zuwandte.
Schweigend wanderten Jason, Bobby und ich zur Gemeinschaftshalle zurück, ich die Uhr fest in den Händen. An der Tür fragte ich Jason: »Was soll ich denn jetzt tun?«
»Na ja, ich denke mal, Sie gehen da rein und …« Er dachte einen Moment nach und zuckte die Schultern. »… und lügen«, vollendete er den Satz. Dann öffnete er die Tür, und sofort drehten sich alle Köpfe zu uns um.
Der Holländer unterbrach seine Rede, und Grace Burns trat ans Mikrofon. Sie wirkte nervös. Bobby nickte mir ermutigend zu, blieb aber mit Jason an der Tür stehen, während ich gemessenen Schrittes zur Bühne ging. Wenn mir nicht so unbehaglich zumute gewesen wäre, hätte ich über die Ironie des Schicksals gelacht: Gregory hätte sich gefreut, wenn sein Geschenk mich dazu gebracht hätte, mit ihm vor den Altar zu treten. Und nun marschierte ich ähnlich feierlich mit einer ganz anderen Uhr einen ganz anderen Gang entlang. Vorn angekommen, überreichte ich Grace die Uhr. Sie inspizierte sie, aber plötzlich fragte ich mich, wie um alles in der Welt sie eigentlich beurteilen wollte, ob das meine Uhr war. Das war doch vollkommen lächerlich, absurdes Theater, weiter nichts! Inszeniert, um den Menschen hier Sicherheit vorzugaukeln, damit sie nicht aufmuckten und anfingen, ernsthaft den Weg nach Hause zu suchen.
»Woher wissen wir, dass es ihre Uhr ist?«, rief auch prompt eine Stimme.
»Wie soll sie das denn beweisen?«, erwiderte Grace, ebenfalls verärgert. Die Frau, der die Stimme gehörte, zog schnell den Kopf ein.
Doch da rief jemand: »Ihr Name ist hinten eingraviert!«, und mir blieb fast das Herz stehen. Nur ganz wenige Menschen wussten von der Gravur. Wütend sah ich zu Joseph hinüber, aber an seinem Gesicht erkannte ich sofort, dass er nicht derjenige gewesen sein konnte, der dieses Detail ausgeplaudert hatte, denn er sah seinerseits wütend zu Helena, die noch viel wütender woandershin starrte … und zwar zu Joan. Mit rotem Kopf saß unsere Freundin in der ersten Reihe, neben dem Mann, der eben den Zwischenruf gemacht hatte. Sie musste uns belauscht haben. Schuldbewusst schielte sie zu Helena und mir herüber. Jetzt war ich wirklich mit meinem Latein am Ende und wusste nicht mal mehr, was ich denken oder fühlen sollte.
»Ist das wahr?« Grace schaute mich fragend an.
»Natürlich ist das wahr!«, meldete sich der Mann schon wieder zu Wort.
Vermutlich stand mir die Wahrheit auch ins Gesicht
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