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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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sie war schon daran gewöhnt, während Dad oft nicht da war, weil er arbeitete.
    »Er ist Psychologe, stimmt’s?« Ich konnte mich darauf verlassen, dass sie mich nicht anlogen.
    »Ja, Honey.« Dad.
    Ich glaube, in diesem Moment fing ich an, es zu hassen, dass ich mich in ihren Augen sehen konnte, und leider fühlte ich mich seit diesem Augenblick in Gegenwart meiner Eltern nicht mehr wohl.
     
    Mr. Burtons Praxis war ein kleines Kabuff, gerade groß genug, dass zwei Sessel darin Platz hatten. Mir war der mit dem schmutzigen olivgrünen Samtbezug und den Armlehnen aus dunklem Holz lieber als der fleckig-braune. Allerdings sahen beide aus, als stammten sie aus den Fünfzigern und wären weder gereinigt noch überhaupt jemals aus dem winzigen Zimmer entfernt worden, seit die Schule gebaut worden war. An der hinteren Wand gab es ein kleines Fenster, so weit oben, dass man nur den Himmel sehen konnte. Bei meinem ersten Termin war er strahlend blau. Gelegentlich segelte eine Wolke vorbei und füllte das gesamte Fenster mit ihrem Weiß.
    An der Wand hingen Plakate von fröhlich aussehenden Schülern und Schülerinnen, die zu Drogen nein sagten, sich gegen Mobbing durchsetzten, den Prüfungsstress bewältigten, erfolgreich gegen Essstörungen kämpften, mit traurigen Ereignissen umgehen konnten und obendrein klug genug waren, auf Sex zu verzichten, um nicht im Teenageralter schwanger zu werden. Auch für den Ausnahmefall, dass jemand doch Sex hatte, gab es Plakate, auf dem das gleiche Mädchen und der gleiche Junge verkündeten, dass sie Kondome benutzten. Allesamt Heilige also. Der ganze Raum war so positiv, dass ich dachte, jemand wie ich müsste eigentlich mit Raketengeschwindigkeit von seinem Sessel abgeworfen werden. Und der großartige Mr. Burton hatte all diesen jungen Menschen geholfen!
    Daher ging ich davon aus, dass er ein weiser alter Mann sein müsste, mit einem grauen Wuschelkopf, einer Taschenuhr in der Westentasche und einem Hirn, das nach jahrelanger Erforschung der menschlichen Psyche vor Erfahrung förmlich explodierte. Ich erwartete einen Yoda der westlichen Welt, der über unerschöpfliches Wissen verfügte, in Rätseln sprach und mich davon zu überzeugen versuchte, dass die Macht stark in mir war.
    Als der echte Mr. Burton das Kabuff betrat, hatte ich zunächst gemischte Gefühle. Meine wissbegierige Forscherseite war enttäuscht, die Vierzehnjährige in mir dagegen äußerst angenehm überrascht. Er war eher Gregory als Mr. Burton, jung, sexy und extrem attraktiv. In Jeans und T-Shirt und mit seinem modischen Haarschnitt wirkte er, als hätte er gerade eben seinen College-Abschluss gemacht. Sofort stellte ich meine üblichen Berechnungen an und kam zu dem Ergebnis, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach ungefähr doppelt so alt war wie ich. Aber in ein paar Jahren war ich aus der Schule und alt genug, eine Beziehung zu ihm zu haben. Bevor er auch nur die Tür hinter sich zugemacht hatte, war mein gesamtes weiteres Leben bereits durchgeplant.
    »Hallo, Sandy«, begrüßte er mich freundlich, schüttelte mir die Hand, und ich schwor mir auf der Stelle, sie nie wieder zu waschen und zu Hause erst mal gründlich abzulecken. Dann nahm er mir gegenüber Platz. Garantiert hatten die Mädchen auf den Plakaten ihre Probleme erfunden, nur um hierherkommen zu dürfen. »Hoffentlich findest du unser schickes Designermobiliar bequem«, meinte er naserümpfend, während er sich in dem braunen Samtsessel niederließ, dessen Polster an der Seite aufgeplatzt war, sodass der Schaumgummi hervorquoll.
    Ich lachte. Oh, war dieser Mensch cool! »Ja, danke. Ich hab mir schon überlegt, was Ihnen die Wahl des Sessels über mich sagt.«
    »Na ja«, grinste er. »Da gibt es zwei Möglichkeiten.«
    Ich lauschte gespannt.
    »Erstens, dass du Braun nicht magst, oder zweitens, dass du Grün magst.«
    »Keins von beidem.« Auch ich lächelte. »Ich wollte mit dem Gesicht zum Fenster sitzen.«
    »Aha«, rief er. »Dann gehörst du also zu den Leuten, die wir im Labor ›Fenstergucker‹ nennen.«
    »Ah, zu denen gehöre ich also.«
    Er blickte mich amüsiert an, dann legte er einen Notizblock plus Stift auf die Knie und stellte einen Kassettenrekorder auf die Armlehne. »Stört es dich, wenn ich unser Gespräch aufnehme?«
    »Warum?«
    »Damit ich mich später an alles erinnern kann, was du gesagt hast. Manchmal kriege ich was erst richtig mit, wenn ich es mir nochmal anhöre.«
    »Okay, aber wofür sind dann der Block und der

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