Vermiss mein nicht
zur Essenstheke ging, wurde mir regelrecht übel. Fairman hatte wirklich nichts mit ihrem Verschwinden zu tun gehabt!
Obgleich Robin damals erst sechs gewesen war, erkannte ich sie sofort, als ich meinen gierigen Blick von den Krispy Kremes hob. Damals war per Computer ein Phantombild von dem Mädchen erstellt worden, das man Jahr für Jahr aktualisierte. Ich hatte es mir fest eingeprägt, um es mir bei Bedarf jederzeit vor Augen rufen zu können. Und jetzt kam es beschwingten Schritts leibhaftig auf mich zu, unverkennbar Robin Geraghty, nur das Gesicht etwas voller, die Haare dunkler. Doch die eigentliche Veränderung lag in ihren Augen, die zwar noch die gleiche Farbe hatten, jedoch so abgeklärt und erwachsen wirkten, als hätten die Erfahrungen, die Robin hier gemacht hatte, ihre Persönlichkeit zutiefst geprägt.
Nach diesem Erlebnis konnte ich nichts mehr essen und saß nur benommen neben Helenas Familie am Tisch. Wanda beobachtete mich und äffte aus irgendeinem unerfindlichen Grund jede meiner Bewegungen nach, was ich ebenso zu ignorieren versuchte wie ihr ständiges Geplapper über einen gewissen Bobby. Doch ich konnte die Augen nicht von Robin abwenden. Dass diese junge Frau seit zwölf Jahren hier lebte, erfüllte mich mit allen möglichen widersprüchlichen Gefühlen. Natürlich freute ich mich, dass ich in ihr einem Menschen begegnete, den ich jahrelang gesucht hatte, aber diese Freude hatte einen bitteren Beigeschmack. Mir wurde klar, dass ich einen großen Teil meines Lebens damit vergeudet hatte, an den falschen Stellen zu suchen. Wie manchmal, wenn sich ein lange gehegter Wunsch endlich erfüllt, mischte sich in das Glück auch jetzt eine heimliche Enttäuschung.
Neben einem unbestellten Feld mit strahlend gelben Butterblumen, blauen und malvenfarbigen Kreuzblümchen, Gänseblümchen, Löwenzahn und allerlei langen Gräsern machten Helena und ich halt; der süße Duft erinnerte mich an Glin, kurz bevor ich verschwunden war.
»Was ist da vorn?«, fragte ich, denn ich hatte gesehen, dass hinter einem kleinen Birkenwäldchen weitere Gebäude aus Eichenholz hervorlugten, die man zwischen der abblätternden, papierartigen schwarzweißen Rinde der Birkenstämme deutlich erkannte.
»Das nächste Dorf«, erklärte Helena. »Jeden Tag kommen so viele neue Menschen, die passen unmöglich alle in unsere kleine Siedlung. Außerdem gibt es einige Kulturen, die sich niemals in einer Umgebung wie dieser niederlassen könnten und wollten. Die wohnen dann weiter draußen«, fügte sie mit einer Kopfbewegung auf die hohen Bäume und Berge hinzu.
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. »Dann gibt es dort bestimmt noch mehr Leute, die ich gesucht habe, richtig?«
»Möglicherweise«, bestätigte sie. »In jeder Ortschaft gibt es eine Registratur, genau wie bei uns, und dort werden alle Namen dokumentiert. Allerdings bin ich nicht sicher, ob die Daten einfach so weitergegeben werden. Normalerweise werden sie vertraulich behandelt, es sei denn, es liegt ein Notfall vor. Ich hoffe ja, dass die Leute von alleine zu dir kommen, ohne dass wir sie suchen müssen.«
Unwillkürlich musste ich bei dieser Vorstellung grinsen. »Was heckst du da eigentlich für einen Plan aus?«
»Tja«, meinte sie mit einem verschmitzten Schmunzeln, »dank der Liste, die du mir gegeben hast, kann man sich zurzeit bei Joan für einen privaten Vorsprechtermin eintragen lassen. Die Veranstaltung beginnt in ungefähr …« – sie packte mein Handgelenk und schielte auf meine Uhr – »… in ungefähr zwei Stunden. Wir bereiten ein neues irisches Theaterstück vor.«
Der Gedanke, ich könnte noch mehr Leute wie Robin treffen, machte mich nervös, andererseits fand ich Helenas Plan wirklich lustig. »Hätte es keine einfachere Methode gegeben, die Leute herzulocken?«
»Selbstverständlich«, antwortete Helena und warf ihren gelben Pashminaschal über die rechte Schulter »Aber so macht es viel mehr Spaß.«
»Was bringt dich zu der Annahme, dass die Leute auf der Liste zum Vorsprechen erscheinen?«
»Machst du Witze?« Helena schien ehrlich überrascht. »Hast du Bernard und Joan nicht gesehen? Die meisten Leute sind total scharf darauf, sich an solchen Aktionen zu beteiligen, vor allem wenn sie von ihren Landsleuten organisiert werden.«
»Werden die Nicht-Iren dann nicht neidisch?«, gab ich halb im Spaß zu bedenken. »Ich möchte nicht, dass die anderen denken, ich will sie nicht bei meiner Großproduktion dabeihaben.«
»Aber
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