Vermiss mein nicht
während ich mir den Kopf zermarterte, was die geheime Botschaft sein mochte, die es zu entziffern galt.
»Ich dachte, es wäre noch mehr hier drin, aber das ist alles«, sagte Bobby schließlich.
Unterdessen war der Boden fast mit Klamotten und allen möglichen anderen Sachen bedeckt. Aber gerade als ich aufstehen und Bobby dazu bringen wollte, endlich Klartext zu reden, erkannte ich ein T-Shirt. Und dann eine Socke, ein Federmäppchen … und die Handschrift auf einem Zettel, der dazwischenlag.
Bobby stand neben der leeren Schachtel, und seine Augen funkelten aufgeregt. »Haben Sie es jetzt kapiert?«
Ich war sprachlos.
»Die Sachen haben allesamt Schildchen. Auf jedem einzelnen Ding, das vor Ihnen liegt, steht der Name Sandy Shortt.«
Mir stockte der Atem, und ich blickte wie gebannt von einem Gegenstand zum anderen.
»Und das ist nur
eine
Kiste. Die da sind auch alle von Ihnen.« Aufgeregt deutete er in die Ecke des Zimmers, wo sich fünf weitere Kisten stapelten. »Jedes Mal, wenn ich irgendwo auf Ihren Namen gestoßen bin, hab ich die Sachen eingesammelt und aufgehoben. Je mehr Zeug von Ihnen hier aufgetaucht ist, desto sicherer wurde ich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Sie selbst kommen würden, um sie sich zu holen. Und hier sind Sie.«
»Ja, hier bin ich«, wiederholte ich und sah fasziniert auf die Dinge vor mir. Schließlich kniete ich nieder und berührte die orange Socke. Sie war klein und musste mir als Kind gehört haben. Aber obwohl ich mich nicht an sie erinnerte, konnte ich mir lebhaft die fieberhafte Suche vorstellen, die ich vor den besorgten Augen meiner Eltern veranstaltet hatte. Damals hatte alles angefangen. Ich nahm mein T-Shirt und sah das Schildchen, auf dem in der Handschrift meiner Mutter mein Name prangte. Vorsichtig berührte ich das Etikett mit den Fingerspitzen und hoffte, dass ich auf diese Weise eine Verbindung zu ihr herstellen konnte. Dann holte ich mir den Zettel mit meiner unordentlichen Teenagerschrift. Ein Text über Shakespeares Romeo und Julia. Ich erinnerte mich noch an diese Hausaufgabe und dass ich meinen Text am nächsten Tag in der Schule nicht mehr finden konnte. Der Lehrer wollte mir nicht glauben, und es war totenstill in der Klasse, während er mir zusah, wie ich mit wachsender Verzweiflung meine Schultasche durchwühlte, mit dem einzigen Erfolg, dass ich am Ende doch eine dicke Strafarbeit bekam. Am liebsten hätte ich das Blatt gepackt, wäre nach Leitrim gerannt, hätte es ihm unter die Nase gehalten und gesagt: »Hier, sehen Sie! Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich sie gemacht hab!«
So berührte ich nacheinander alle Dinge auf dem Boden und erinnerte mich, wie ich sie benutzt, verloren und vergeblich gesucht hatte. Als ich jeden Gegenstand aus der ersten Kiste gesehen hatte, rannte ich zu dem Stapel in der Ecke und öffnete mit zitternden Fingern die oberste Schachtel. Mit einem Auge starrte mich mein lieber Freund Mr. Pobbs an.
Ich nahm ihn aus der Schachtel, schnupperte an ihm und versuchte den vertrauten Geruch von zu Hause an ihm zu erkennen. Aber den hatte er längst verloren. Wie der Rest meiner Habseligkeiten roch er nur muffig, doch ich drückte ihn fest an mein Herz. Auf seinem Etikett waren noch mein Name und meine Telefonnummer zu erkennen, auch wenn die Schrift meiner Mutter etwas verblasst war. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich dich wiederfinde, Mr. Pobbs«, flüsterte ich in sein Ohr. Dann hörte ich, wie sich leise die Tür hinter mir schloss. Bobby war aus dem Zimmer gegangen, um mich bei meinen Erinnerungen nicht zu stören.
Dreiunddreißig
Ich weiß nicht, wie lange ich im Lagerraum blieb. Eine Flut von Erinnerungen hatte mich in eine andere Welt gespült und jedes Zeitgefühl mit sich gerissen. Irgendwann blickte ich aus dem Fenster und merkte, dass ich vor Müdigkeit kaum noch aus den Augen sehen konnte. So lange hatte ich auf meine Habseligkeiten gestarrt. Aber seit ich wusste, dass sie hier waren – etwas, was mir gehörte! –, fühlte ich mich wieder viel näher an zu Hause, denn es war, als hätten die beiden Welten sich miteinander verbunden. Wenn ich diese Dinge berührte, die ich einmal in der Nähe meiner Lieben berührt hatte, kam ich mir nicht mehr ganz so verloren vor. Vor allem Mr. Pobbs. So viel war geschehen, seit ich ihn verloren hatte. Johnny Nugent und ungezählte ähnlich bedeutungslose Beziehungen waren gekommen und gegangen. Seit Mr. Pobbs aus meinem Bett verschwunden war, hatte eine ganze
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