Vermiss mein nicht
Serie von Mr. Wrongs seinen Platz okkupiert.
Als ich aufblickte, entdeckte ich Joseph, der draußen in seinem weißen Leinenhemd und seiner über den Sandalen hochgekrempelten Hose selbstbewusst die Straße entlangspazierte. Er fiel überall auf, egal in welcher Gesellschaft er sich befand, denn man sah ihm seine Persönlichkeit an, die Dominanz und Energie, die er verströmte. Zwar redete er nicht viel, aber wenn er etwas sagte, hatte das immer Hand und Fuß, und jedes Thema, zu dem er sich äußerte, bekam sofort ein anderes Gewicht, und wer ihm zuhörte, spitzte unwillkürlich die Ohren. Trotz seiner Größe war seine Stimme leise, manchmal fast nur ein Flüstern, er trat auch nie aggressiv oder einschüchternd auf – und wirkte dadurch umso überlegener.
Dann hörte ich die Glocke an der Eingangstür, die Tür quietschte und fiel wieder ins Schloss.
»Hallo Joseph!«, rief Bobby fröhlich. »Wollte Wanda mich heute nicht besuchen?«
Joseph lachte leise, vermutlich weil Bobby mal wieder irgendeine witzige Grimasse gezogen hatte. »Oh, wenn die Kleine wüsste, dass ich hier bin, wäre sie garantiert nicht zu Hause geblieben. Sie ist ja regelrecht in dich verschossen.«
Jetzt lachte Bobby. »Wie kann ich dir helfen?«
Joseph senkte die Stimme, als wüsste er, dass ich im Nebenzimmer saß und lauschte. Schnell presste ich das Ohr an die Tür.
»Eine Uhr?«, hörte ich Bobby laut wiederholen. »Ich hab jede Menge Uhren da.«
Josephs Erwiderung war wieder sehr schwer zu verstehen, aber ich konnte mir denken, worum es ging. Um
meine
Uhr.
»Eine silberne Uhr mit einem Ziffernblatt aus Perlmutt«, wiederholte Bobby geflissentlich, und ich war ihm sehr dankbar für seine Angewohnheit, alles noch einmal zu sagen. Dann näherten sich Schritte über den knarrenden Holzfußboden, und ich machte mich bereit, von der Tür wegzuspringen.
»Wie wäre es mit dieser hier?«, fragte Bobby.
»Nein, es müsste eine sein, die du gestern oder heute Morgen gefunden hast«, entgegnete Joseph.
»Woher weißt du das so genau?«
»Weil sie gestern verschwunden ist.«
»Hmm, woher willst du das denn wissen?«, wandte Bobby mit einem seltsam verlegenen Lachen ein. »Da müsstest du ja mit jemandem aus der anderen Welt gesprochen haben, was ich doch sehr bezweifeln würde.«
Schweigen.
»Joseph, diese Uhr hier sieht genauso aus, wie du sie beschrieben hast«, sagte Bobby schließlich, und ich hörte die Verwirrung in seiner Stimme.
»Aber es ist nicht die, die ich will«, entgegnete Joseph.
»Hast du sie denn irgendwo gesehen? Kennst du jemanden, der so eine trägt? Vielleicht könntest du den Betreffenden fragen, ob er mal bei mir vorbeischaut, dann kann ich sie mir ansehen und für dich zurücklegen, falls ich sie finde.«
»Ja, ich hab sie an jemandem gesehen.«
»An jemandem aus Kenia? Ist es schon lange her?«
»Nein. An jemandem von hier.«
»Hier?«, wiederholte Bobby.
»Ja, von hier.«
»Hat jemand von hier sie zu mir gebracht?«
»Nein, sie ist verschwunden.«
Schweigen.
»Das kann nicht sein. Wahrscheinlich ist sie einfach nur verlegt worden.«
»Nein, ist sie nicht. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen.«
»Du hast gesehen, wie sie verschwunden ist?«
»Ich hab sie am Arm einer Frau gesehen. Und ohne dass sie sich von der Stelle bewegt hat, war die Uhr plötzlich weg.«
»Dann ist sie wohl runtergefallen.«
»Ja.«
»Und liegt jetzt dort auf dem Boden.«
»Nein, das ist ja das Komische«, sagte Joseph trocken, und ich wusste, dass er es ganz und gar nicht komisch fand.
»Das kann nicht sein.«
»Es ist aber so.«
»Und du hast gedacht, die Uhr würde hier wieder auftauchen?«
»Ich hab gedacht, du hättest sie vielleicht gefunden.«
»Hab ich aber nicht.«
»Das sehe ich. Danke, Bobby. Bitte erzähl keinem davon«, setzte er warnend hinzu, und ich bekam eine Gänsehaut. Dann hörte ich, wie Schritte sich entfernten.
»Warte, Joseph! Wer hat die Uhr denn verloren?«
»Du kennst sie nicht.«
»Wo hat sie die Uhr verloren?«
»Auf halbem Weg zwischen hier und dem nächsten Dorf.«
»Nein«, flüsterte Bobby.
»Doch.«
»Ich werde sie finden«, verkündete Bobby entschlossen. »Sie muss da sein.«
»Nein.« Jetzt sprach Joseph in normaler Lautstärke, aber für ihn war das sehr laut.
»Na gut, na gut«, lenkte Bobby ein, aber es klang nicht danach, als würde er Joseph wirklich glauben. »Weiß die Frau, die die Uhr verloren hat, dass sie verschwunden ist? Kann es nicht sein, dass sie
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