Vermisst: Thriller (German Edition)
Fenster. Das Glas splitterte.
Meine Haut kribbelte. Jax sank gegen das Fenster, das knirschend nachgab. Die Angreiferin packte sie am Haar und schlug ihren Kopf noch einmal gegen die Scheibe.
Mich überlief eine Gänsehaut. Es war die blonde Zwergin. Jeder Nerv in meinem Körper drängte zur Flucht. Aber von dem Balkon gab es kein Entrinnen.
Jax steckte in Schwierigkeiten. Wenn sie ausfiel, stand ich der Blonden allein gegenüber. Hastig platzierte ich meinen Computer auf einem Stuhl, griff mir den Couchtisch und öffnete die Schiebetür.
»Ev …« Das Wort blieb Jesse im Hals stecken. Entsetzt starrte er auf den Monitor.
Das Bild flackerte, die Kamera kippte. Möbel zuckten vorbei, der Fußboden – und die untere Hälfte der Glastür zum Hotelzimmer.
Ihm stockte der Atem.
Drinnen rangen zwei Frauen miteinander und prallten dabei immer wieder gegen das Fenster. Jemand hatte Jakarta Rivera angegriffen …
»Ev, kannst du …«
Das Bild löste sich in Streifen auf und setzte sich stückweise wieder zusammen. Er sah, wie Ev die Tür öffnete und das Zimmer betrat.
Rücksichtslos drängte sich Shiver durch die Gäste in der Lobby. Der Concierge blickte ihr verärgert nach, als sie zu den Aufzügen stürzte.
»Warten Sie!« Sie sprang in den Lift, dessen Türen sich schon schlossen. Eingequetscht zwischen angetrunkenen taiwanesischen Geschäftsleuten und rotgesichtigen britischen Touristen drückte sie den richtigen Knopf.
Sie bebte am ganzen Körper. Das Bild auf ihrem Computer hatte ihr alles gezeigt. Bliss kämpfte mit Jakarta Rivera. Sie hatte die Injektion nicht sauber gesetzt, und jetzt wehrte sich die Amerikanerin. Der zweite Ausrutscher in zwei Tagen! Und Delaney würde mit Sicherheit eingreifen. Das war gar nicht gut. Sie würde aufräumen müssen.
Der Aufzug fuhr quälend langsam und hielt in jedem einzelnen Stockwerk. Am liebsten hätte sie die stinkenden Besoffenen umgebracht.
Die beiden waren direkt vor dem Fenster zum Balkon eng umschlungen zu Boden gegangen. Überall war Blut.
Ich holte aus und ließ den Tisch wie einen Schläger auf die Schulter der Blonden niedersausen. Sie schrie auf. Ich hob den Tisch erneut, aber sie wand sich wie ein Aal aus Jax’ Umklammerung und sprang mir mit ausgestreckten Fingernägeln geradezu ins Gesicht. Offenbar zielte sie auf meine Augen. Dabei fletschte sie die Zähne, und widerliche schwarze Stummel wurden sichtbar.
Ich wandte den Kopf ab und versuchte, mich mit dem Tisch zu schützen. Sie riss ihn mir aus den Händen und drosch ihn mir gegen den Schädel, dass ich Sterne sah.
Unterdessen hatte sich Jax wieder aufgerappelt. Sie stand mit gespreizten Beinen da, als hätte sie Probleme, das Gleichgewicht zu halten. Jetzt duckte sie sich wie eine Katze zum Sprung. Aus ihrem Mundwinkel lief Blut, und ihre Wange war bis zum Haaransatz damit verschmiert.
Die Blonde traf mich voll am Unterarm, mit dem ich mich hatte schützen wollen. Im nächsten Moment lag ich mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, und die Blonde hockte auf mir.
Jesse starrte auf das verschwommene Bild. Der Ton rauschte nur noch, aber er konnte immerhin erkennen, dass die wie entfesselt kämpfende Angreiferin fast schwerelos zu sein schien. Was war das? Ein Teenager im Drogenrausch?
Evan war zu Boden gegangen. Die Blonde saß auf ihr, krallte ihre Finger in Evans Haar und rammte ihr Gesicht in den Fußboden. Dann griff sie in Richtung Schreibtisch, riss ein Kabel los und …
Erneut löste sich das Video in einzelne Pixel auf.
Er raufte sich die Haare und starrte flehentlich auf den Monitor. Mit einem Kreischen kehrte das Bild zurück.
Die Blonde würgte Evan mit einem Computerkabel.
Dass keine zwei Meter von ihm entfernt eine geladene 9-mm-Glock in der Schublade ruhte, half ihm im Augenblick überhaupt nicht. Er war mehr als vierzehntausend Kilometer weit weg und konnte nur ohnmächtig zuschauen. Verzweifelt suchte er den Monitor nach irgendwelchen Hinweisen ab. Auf dem Tisch im Zimmer stand eine Weinflasche, um deren Hals eine Mitteilung hing. Wenn das Hotelpapier war … Er hämmerte auf die Tastatur ein und zoomte näher heran. Das Shangri-La.
Ohne den Blick vom Monitor zu wenden, griff er zum Telefon und wählte. »Farelli«, rief er, als Drew sich meldete. »Du musst das FBI anrufen. Sofort!«
Meine Hände griffen nach dem Kabel um meinen Hals. Verzweifelt versuchte ich, die tödliche Umschlingung zu lockern. Es war ein entsetzliches Gefühl, keine Luft mehr zu
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