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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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mit
Zukunft.«
Veronika folgte dem Rat ihrer Mutter, weil sie darauf vertraute, daß diese genug Lebenserfahrung hatte, um die Realität
richtig einzuschätzen. Sie beendete ihre Schule, ging an die
Universität, verließ die Universität mit einem Diplom und
ausgezeichneten Noten, doch am Ende bekam sie nur eine
Anstellung als Bibliothekarin.
>Ich hätte verrückter sein sollen.< Doch wie die meisten
Menschen entdeckte sie das zu spät.
    Sie hatte sich gerade umgewandt, um ihren Weg fortzusetzen, als jemand sie am Arm festhielt. Das starke Beruhigungsmittel, das man ihr gegeben hatte, rann noch durch
ihre Adern; deshalb reagierte sie nicht, als Eduard, der Schizophrene, sie sanft in eine andere Richtung führte - zum
Aufenthaltsraum.
    Der Mond stand immer noch im ersten Viertel, und Veronika hatte sich auf Eduards stumme Bitte hin schon ans Klavier
gesetzt, als sie eine Stimme aus dem Speisesaal hörte.
Jemand sprach mit ausländischem Akzent, und Veronika
konnte sich nicht daran erinnern, diesen Akzent schon einmal
in Villete gehört zu haben.
    »Ich möchte jetzt nicht Klavier spielen, Eduard. Ich will
wissen, was in der Welt geschieht, was nebenan geredet
wird, wer dieser Fremde ist.«
    Eduard lächelte. Vielleicht hatte er kein Wort von dem
verstanden, was sie gesagt hatte. Doch sie erinnerte sich an
Dr. Igor: Schizophrene können in zwei unterschiedlichen
Realitäten aus und ein gehen.
    »Ich werde sterben«, fuhr sie fort und hoffte, ihre Worte
würden zu ihm durchdringen. »Der Tod hat heute mein
Gesicht mit seinem Flügel berührt. Und wird morgen oder
bald schon an meine Tür klopfen. Du darfst dich nicht daran
gewöhnen, jeden Abend dem Klavierspiel zuzuhören.
    Niemand darf sich an etwas gewöhnen, Eduard. Sieh mal:
Ich fand schon wieder Gefallen an der Sonne, an den Bergen, an den Problemen. Ich habe sogar schon akzeptiert,
daß am fehlenden Sinn in meinem Leben niemand Schuld
hatte außer ich selbst. Ich wollte wieder auf den Platz von
Ljubljana zurück, Haß und Liebe fühlen, Verzweiflung und
Langeweile, all diese einfachen, närrischen Dinge, die Teil
des Alltags sind, einem aber das Leben schmackhaft machen. Wenn ich eines Tages hier herauskommen könnte,
würde ich mir zugestehen, verrückt zu sein, weil alle Welt es
ist, wobei die Schlimmsten die sind, die nicht wissen, daß sie
es sind, weil sie nur wiederholen, was die anderen ihnen
auftragen.
    Doch all dies ist unmöglich, verstehst du? Genauso wenig
kannst du den ganzen Tag darauf warten, daß es Nacht wird
und eine der Anstaltsinsassinnen Klavier spielt - denn das
wird schon bald aufhören. Meine Welt und deine Welt gehen
ihrem Ende zu.«
Sie erhob sich, berührte zärtlich das Gesicht des jungen
Mannes und ging in den Speisesaal.
    Als sie die Tür öffnete, stand sie vor einem ungewöhnlichen Szenario: Tische und Stühle waren an die Wand gerückt, und dadurch wurde eine große leere Fläche in der
Mitte gebildet. Dort saßen die Mitglieder der Bruderschaft
auf dem Boden und hörten einem Mann zu, der Anzug und
Krawatte trug.
»...und dann haben sie den großen Sufi-Meister Nasrudin eingeladen, einen Vortrag zu halten«, sagte er.
    Als die Tür aufging, sahen alle Veronika an. Der Mann im
Anzug sagte zu ihr:
»Setzen Sie sich!«
Sie setzte sich auf den Boden neben die weißhaarige Frau,
Mari, die bei ihrem ersten Treffen so aggressiv gewesen war.
Zu ihrer Überraschung lächelte ihr Mari einladend zu.
Der Mann im Anzug fuhr fort:
»Nasrudin beraumte den Vortrag für zwei Uhr nachmittags an, und es war ein Erfolg: Die zweitausend Karten
wurden alle verkauft, und mehr als sechshundert Menschen
mußten draußen bleiben, wo sie den Vortrag in einer Fernsehübertragung verfolgen konnten.
Um Punkt vier Uhr kam ein Assistent von Nasrudin
herein, um zu sagen, daß sich der Vortrag aufgrund höherer
Gewalt etwas verzögern würde. Einige erhoben sich empört,
wollten ihr Geld zurück und verließen den Saal. Doch es
blieben trotzdem viele Menschen im und vor dem Saal
zurück.
Ab vier Uhr gingen, da der Sufi-Meister immer noch
nicht gekommen war, allmählich immer mehr Leute und
ließen sich ihr Geld zurückgeben: Es war Büroschluß und
Zeit, nach Hause zu gehen. Um sechs Uhr waren von den
zweitausend Zuhörern nur noch einhundert übrig.
In diesem Augenblick trat Nasrudin ein. Er wirkte vollkommen betrunken und fing an, mit einer hübschen jungen
Frau zu flirten, die in der ersten Reihe saß.
Nachdem die erste

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