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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Laboratorium je isolieren konnte -wurde
das Vitriol vom Körper von Menschen abgesondert, die sich
in einer Angstsituation befanden. Auch wenn es in den
modernen spektrographischen Tests nicht nachzuweisen war,
so war es doch leicht am Geschmack zu erkennen, der weder
süß noch salzig war - am bitteren Geschmack. Dr. Igor, der
noch unerkannte Entdecker dieser tödlichen Substanz, hatte
ihr den Namen eines Giftes gegeben, das früher von
Kaisern, Königen und Liebhabern jeder Art benutzt wurde,
um eine unliebsame Person zu beseitigen.
    Das waren noch Zeiten gewesen, königlich-kaiserliche
Zeiten: Damals lebte und starb man noch romantisch. Der
Mörder lud sein Opfer zu einem köstlichen Abendessen,
der Diener trat mit zwei schönen Gläsern ein. In einem war
Vitriol unter das Getränk gemischt. Wieviel Gefühl lag in
den Gesten des Opfers - es nahm das Glas, sagte einige
süße oder aggressive Worte, trank dann, als handle es sich
um einen köstlichen Tropfen, blickte den Gastgeber erstaunt
an und fiel wie vom Blitz getroffen zu Boden!
    Doch hatten sicherere Tötungsmittel wie Revolver, Bakterien und so weiter dieses Gift, das heutzutage nur teuer
und sehr schwer zu bekommen war, abgelöst. Dr. Igor, der
romantisch veranlagt war, hatte den fast vergessenen Namen
gerettet und ihn einer Krankheit der Seele gegeben, die er
diagnostiziert hatte und mit deren Entdeckung er alsbald die
Welt zu überraschen gedachte.
    Es war merkwürdig, daß niemand das Vitriol als tödliches
Gift erwähnt hatte, obwohl die meisten von ihm befallenen
Menschen seinen Geschmack identifizierten und den
Vergiftungsprozeß als »Verbitterung« bezeichneten. Alle
Wesen hatten Bitterkeit in ihrem Organismus. In mehr oder
weniger großen Mengen, so wie wir auch fast alle den
Tuberkulosebazillus in uns tragen. Doch diese Krankheiten
können dem Patienten nur dann etwas anhaben, wenn er geschwächt ist. Im Falle der Bitterkeit wird das Terrain für die
Krankheit vorbereitet, wenn jemand Angst vor der sogenannten »Realität« entwickelt.
    Bestimmte Menschen erhöhen im Bemühen, eine eigene
heile, unangreifbare Welt zu schaffen, ihre Abwehr gegen
die Außenwelt - fremde Menschen, neue Orte, neue Erfahrungen. Ihr Inneres bleibt leer. Und dort drängt die Bitterkeit
hinein und verursacht unumkehrbare Schäden.
    Zielscheibe der Bitterkeit oder des Vitriols, wie Dr. Igor
es lieber nennt, ist die Willenskraft. Die von der Krankheit
der Verbitterung befallenen Menschen verlieren die Lust an
allem, und in wenigen Jahren können sie schon nicht mehr
aus ihrer Welt heraus, denn sie haben unendlich viel Kraft
dafür aufgewandt, hohe Mauern aufzurichten, damit die
Realität das wurde, was sie sich darunter gern vorstellten.
    Indem sie jeden Angriff von außen vermieden, hatten sie
auch das innere Wachstum eingeschränkt. Sie gingen weiterhin zur Arbeit, sahen fern, beklagten sich über den Verkehr und darüber, daß sie Kinder hatten, doch alles geschah
automatisch, ohne allzuviel Gefühlsaufwand, weil sie ja
letztlich alles unter Kontrolle hatten.
    Das große Problem der Vergiftung durch Bitterkeit war,
daß sich auch die Leidenschaften - Haß, Liebe, Verzweiflung, Begeisterung, Neugier - nicht mehr äußerten. Nach
einiger Zeit hatte der Verbitterte keine Wünsche mehr. Hatte
er weder den Wunsch zu leben noch zu sterben, und gerade
darin lag das Problem.
    Aus diesem Grund waren Helden und Verrückte immer besonders faszinierend für die Verbitterten: Sie hatten weder
Angst vor dem Leben noch vor dem Tod. Helden wie Verrückte ließen sich von Gefahren nicht beirren, sie gingen
ihren Weg weiter, auch wenn alle sagten, sie sollten dies
nicht tun. Der Verrückte brachte sich um, der Held gab für
eine Sache sein Leben - beide aber starben, und die Verbitterten verbrachten viele Nächte damit, die Absurdität der
beiden Tode zu kommentieren. Nur in diesen Augenblik-ken
fand der Verbitterte Kraft, über die Mauer der Abwehr zu
klettern und sich etwas umzuschauen: Doch bald schon
wurden seine Hände und seine Füße wieder müde, und er
kehrte zum alltäglichen Leben zurück.
    Der chronisch Verbitterte bemerkte seine Krankheit nur
einmal in der Woche: am Sonntagnachmittag. Dann, wenn
weder seine Arbeit noch die Routine ihm halfen, die Symptome zu lindern, bemerkte er, daß irgend etwas nicht
stimmte. Denn der Frieden dieser Nachmittage war die
reinste Hölle, die Zeit verging nicht, und er war ständig gereizt.
    Doch dann

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