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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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wurde es wieder Montag, und der Verbitterte
vergaß seine Symptome, auch wenn er schimpfte, daß er
niemals Zeit hätte, sich auszuruhen, und sich darüber beklagte, daß die Wochenenden immer so schnell vergingen.
    Diese Krankheit hatte jedoch einen Vorteil. Sie war gesellschaftlich gesehen bereits zur Regel geworden, und die
Leute mußten nicht mehr interniert werden, es sei denn, die
Vergiftung war so weit fortgeschritten, daß dieser Mensch
für seine Umwelt zur Belastung wurde. Aber der größte
Teil der Verbitterten konnte draußen weiterleben, ohne die
Gesellschaft zu bedrohen, da sie wegen der Mauern, die sie
um sich errichtet hatten, vollkommen isoliert waren,
obwohl es so aussah, als nähmen sie am sozialen Leben
teil.
    Dr. Sigmund Freud hatte die Libido entdeckt und eine
Behandlung der aus ihr entstehenden Probleme: die Psychoanalyse. Dr. Igor mußte nun, nachdem er das Vorhandensein
des Vitriols entdeckt hatte, beweisen, daß auch hier eine
Heilung möglich war. Er wollte, daß sein Name in die Geschichte der Medizin einging, obwohl er sich bewußt war,
welche Schwierigkeiten ihn erwarteten, wenn er seine Ideen
durchsetzen wollte. Denn die »Normalen« waren mit ihrem
Leben zufrieden, sie würden niemals eingestehen, daß sie
krank waren, während die »Kranken« eine riesige Industrie
von Anstalten, Laboratorien, Kongressen und so weiter in
Gang hielten.
    >Ich weiß, daß die Welt meine Anstrengungen nicht anerkennen wird<, sagte er sich und war stolz darauf, daß er unverstanden war. Das war schließlich der Preis, den Genies
zu zahlen hatten.
    »Was ist mit Ihnen?« fragte das Mädchen. »Sie scheinen in
die Welt Ihrer Patienten abgedriftet zu sein.«
Dr. Igor ignorierte den Stachel.
»Sie können jetzt gehen«, sagte er.
Veronika wußte nicht, ob es Tag oder Nacht war, bei Dr.
Igor hatte das Licht gebrannt, doch das war morgens
immer so. Dennoch sah sie, als sie auf den Flur trat, den
Mond und stellte fest, daß sie länger als geglaubt geschlafen
hatte.
Auf dem Weg zur Krankenstation bemerkte sie ein gerahmtes Fotos an der Wand. Es war der Hauptplatz von
Ljubljana - doch noch ohne die Statue des Dichters Preseren -, auf dem Paare spazierengingen, wahrscheinlich an
einem Sonntag.
Sie schaute das Datum nach: Sommer 1910.
Sommer 1910. Da waren Menschen, deren Enkel inzwischen schon gestorben waren, in einem bestimmten Augenblick ihres Lebens festgehalten. Die Frauen trugen weite
Röcke, die Männer hatten alle einen Hut auf, trugen einen
Gehrock, Krawatte (oder ein buntes Stück Stoff, wie die
Verrückten es nannten), Gamaschen und einen Regenschirm
unter dem Arm.
Und die Hitze? Es mußte gleich heiß sein wie heutzutage
im Sommer, 35° im Schatten. Was hätten damals die Leute
gedacht, wenn ein Engländer in Bermudas und in Hemdsärmeln, einer für die Hitze passenden Kleidung, erschienen
wäre?
>Ein Verrückter!<
Sie hatte durchaus verstanden, was Dr. Igor sagen wollte.
Ebensogut hatte sie verstanden, daß sie ihr ganzes Leben
lang zwar geliebt und behütet gewesen war, daß aber etwas
fehlte, um diese Liebe zu einem Segen zu machen: Dazu
hätte sie sich etwas mehr Verrücktheit zugestehen müssen.
Ihre Eltern würden sie irgendwie immer weiter lieben,
doch sie würde nie wagen, den Preis für ihren Traum zu
zahlen, weil sie fürchtete, sie zu verletzen. Dieser Traum
war tief in ihrem Gedächtnis vergraben, obwohl ihn von
Zeit zu Zeit ein Konzert oder eine schöne Platte wieder
zum Leben erweckte. Doch jedesmal, wenn ihr Traum wiedererweckt wurde, war das Gefühl der Frustration so groß,
daß sie ihn sofort wieder begrub.
Veronika wußte von Kindesbeinen an, welches ihre wahre
Berufung war: Pianistin sein!
Sie hatte dies mit zwölf in der ersten Musikstunde gefühlt. Ihre Lehrerin erkannte ihr Talent und ermunterte sie,
das Klavierspielen zu ihrem Beruf zu machen. Doch als
Veronika glücklich über einen gewonnenen Wettbewerb
meinte, daß sie alles andere aufgeben wolle, um nur noch
Klavier zu spielen, hatte die Mutter ihr mit einem liebevollen Blick erklärt: »Niemand lebt nur vom Klavierspielen,
mein Herz.«
»Aber du hast mich doch Unterricht nehmen lassen!«
»Damit du deine künstlerische Begabung entwickelst,
nur deshalb. Ehemänner schätzen klavierspielende Frauen,
und du könntest dich bei einer Feier hervortun. Vergiß diese
Geschichte mit der Pianistenkarriere, daß du Pianistin werden
willst. Studiere Jura. Rechtsanwältin, das ist ein Beruf

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