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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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alles erschien ihr bedrohlich. Sie war sich sicher, noch
am Leben zu sein, sie konnte sogar das Leben um sie herum
berühren wie eine feste Masse. So etwas hatte sie noch nie
erlebt.
»Laß mich hier ja nicht allein. Ich werde aufstehen und
mit dir hinausgehen. Geh langsam.«
Die beiden entschuldigten sich bei den Zuschauern, die in
derselben Reihe saßen, und gingen zum hinteren Teil des
Saals, wo sich der Ausgang befand. Maris Herz klopfte jetzt
rasend, und sie war sich sicher, absolut sicher, daß sie niemals aus diesem Raum herauskommen würde. Alles, was
sie tat, jede Geste, ein Fuß vor den anderen setzen, um Verzeihung bitten, sich an den Arm ihres Mannes klammern,
einatmen, ausatmen, mußte sie plötzlich bewußt und überlegt
angehen, und das hatte etwas Bedrohliches.
Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie solche Angst
gehabt.
>Ich werde in einem Kino sterben.<
Und sie glaubte zu begreifen, was mit ihr geschah, denn
eine ihrer Freundinnen war vor vielen Jahren an einer Gehirnblutung gestorben, und zwar auch im Kino.
Aneurysmen im Gehirn sind wie Zeitbomben. In den
Blutgefässen bilden sich kleine Krampfadern - wie Blasen in
gebrauchten Reifen -, und eine Person kann sie ihr ganzes
Leben lang haben, ohne daß etwas passiert. Niemand weiß,
daß er ein Aneurysma hat, bis es zufällig entdeckt wird,
beispielsweise, wenn das Gehirn geröntgt wird, oder wenn
das Aneurysma explodiert, alles mit Blut überschwemmt,
der Mensch sofort ins Koma fällt und im allgemeinen kurz
darauf stirbt.
Während sie durch den schmalen Gang des Saals ging,
erinnerte sich Mari an die Freundin, die sie verloren hatte.
Das Seltsamste war jedoch, wie die Explosion des Aneurysmas ihre Wahrnehmung beeinflußte: Ihr war so, als wäre sie
auf einem fremden Planeten gelandet und sähe alle Dinge
zum ersten Mal.
Und die bedrohliche, unerklärliche Angst, die Panik, ganz
allein auf diesem Planeten zu sein. Der Tod.
>Ich kann nicht denken. Ich muß so tun, als wäre alles in
Ordnung, und alles wird wieder gut.<
Sie versuchte, ganz selbstverständlich zu handeln, und einige Sekunden lang nahm das Gefühl der Fremdheit ab. Die
zwei Minuten allerdings, die von den ersten Anzeichen von
Herzrasen bis zu dem Augenblick vergangen waren, als sie
die Tür erreichte, waren die schlimmsten in ihrem ganzen
Leben.
    Als sie das erleuchtete Foyer erreichten, begann jedoch alles
aufs neue. Die Farben waren grell, der Straßenlärm schien
von überall her auf sie einzudröhnen, und alle Dinge wirkten
vollkommen irreal. Sie bemerkte Einzelheiten, die sie nie
zuvor bemerkt hatte: daß wir nur in einem kleinen Bereich
scharf sehen, nämlich dort, wo wir konzentriert hinschauen,
während der Rest unscharf bleibt.
    Und noch mehr: Sie wußte, daß alles, was sie um sich
herum wahrnahm, nichts als von elektrischen Impulsen in
ihrem Gehirn geschaffene Bilder waren, wobei Lichtimpulse
genutzt wurden, die durch einen gallertartigen Körper namens >Auge< gingen.
Nein. Nein, sie durfte nicht darüber nachdenken. Davon
würde sie verrückt werden.
    Zu diesem Zeitpunkt war die Angst wegen des Aneurysmas längst verflogen. Sie war aus dem Zuschauerraum
herausgekommen und lebte immer noch, während ihre
Freundin nicht einmal die Zeit gehabt hatte, von ihrem Sitz
aufzustehen.
    »Ich werde einen Krankenwagen rufen«, sagte ihr Mann,
als er das blasse Gesicht und die bleichen Lippen seiner Frau
sah.
    »Ruf lieber ein Taxi«, bat sie und fühlte die Töne aus ihrem
Mund kommen, spürte die Vibration der Stimmbänder.
Ins Krankenhaus fahren bedeutete einzugestehen, daß es
ihr wirklich sehr schlecht ging: Mari war entschlossen, bis
zur letzten Minute zu kämpfen, bis alles wieder wie vorher
war.
Sie verließen das Foyer, und die schneidende Kälte schien
ihr gutzutun: Mari bekam sich etwas in den Griff, obwohl
die Panik, der unerklärliche Schrecken fortbestanden. Wäh-
rend ihr Mann versuchte, ein Taxi auf zutreiben, setzte Mari
sich auf den Bordstein und versuchte nicht auf das zu
schauen, was um sie herum los war: spielende Kinder, ein
vorbeifahrender Bus, ein naher Vergnügungspark, all dies
kam ihr absolut surrealistisch, erschreckend und fremd vor.
    Endlich kam ein Taxi.
»Ins Krankenhaus«, sagte der Mann, während er seiner
Frau beim Einsteigen half.
»Nach Hause, um Gottes willen!« bat sie. Sie wollte keine
fremden Orte mehr, sie brauchte verzweifelt die vertrauten,
immer gleichen Dinge, die imstande waren, ihre Angst

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