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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Medikamente, wurde psychotherapeutisch begleitet, und die Symptome nahmen ab,
bis sie schließlich ganz verschwanden.
    In der Zwischenzeit hatte jedoch die Einweisung Maris in
die Anstalt in der kleinen Stadt Ljubljana die Runde gemacht. Ihr Partner und Freund, der so lange Jahre Freud
und Leid mit ihr geteilt hatte, kam sie in Villete besuchen.
Er beglückwünschte sie zu ihrem Mut, seinen Rat befolgt
und Hilfe gesucht zu haben. Doch dann teilte er ihr den
eigentlichen Grund seines Besuches mit:
    »Womöglich ist jetzt wirklich der Augenblick gekommen, an dem Sie in Rente gehen sollten.«
Mari begriff, was hinter diesen Worten stand: Niemand
wollte seine Geschäfte einer Anwältin anvertrauen, die in
einer psychiatrischen Anstalt gewesen war.
»Sie sagten, Arbeit sei die beste Therapie. Ich muß wieder
zurück, und sei's nur für kurze Zeit.«
Sie wartete auf eine Reaktion, doch er schwieg. Mari fuhr
fort:
»Sie selbst haben vorgeschlagen, daß ich mich behandeln
lassen soll. Als ich erwog, mich pensionieren zu lassen,
wollte ich freiwillig und mit fliegenden Fahnen gehen. Ich
will nicht gehen, weil ich muß. Geben Sie mir wenigstens
eine Chance, mein Selbstwertgefühl zurückzuerlangen.
Dann werde ich anschließend von mir aus zurücktreten.«
Der Anwalt hüstelte.
»Ich hatte vorgeschlagen, daß Sie sich behandeln, nicht
daß Sie sich internieren lassen sollen.«
»Aber das war damals eine Frage des Überlebens. Ich
traute mich einfach nicht mehr auf die Straße, und meine
Ehe war am Ende.«
Mari wußte, daß ihre Worte ins Leere gingen. Was auch
immer sie sagte, überreden konnte sie ihn nicht. Der Ruf
der Kanzlei stand auf dem Spiel. Trotzdem nahm sie einen
letzten Anlauf:
»Ich habe hier drinnen mit zweierlei Menschen zusammengelebt: Menschen, die keine Chance haben, wieder in
die Gesellschaft zurückzukehren, und Menschen, die vollkommen geheilt sind, doch lieber vorgeben, verrückt zu
sein, um sich vor den Verantwortungen, die das Leben ihnen
abverlangt, zu drücken. Ich möchte, ich muß mich wieder
mögen, muß mich selbst davon überzeugen, daß ich imstande
bin, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich will
nicht zu Dingen gedrängt werden, die ich nicht selbst
gewählt habe.«
»Wir können viele Fehler in unserem Leben begehen«,
sagte der Anwalt. »Nur nicht den Fehler, der alles zerstört.«
Es brachte nichts, das Gespräch fortzusetzen. Seiner
Meinung nach hatte Mari den fatalen Fehler begangen.
    Zwei Tage später wurde ihr der Besuch eines anderen Anwalts gemeldet. Diesmal aus einer anderen Kanzlei, die die
beste Konkurrentin ihrer jetzt ehemaligen Kollegen war.
Mari lebte auf. Vielleicht wußte er, daß sie frei war und eine
neue Stelle suchte, die ihr die Chance bot, ihren Platz in der
Welt wieder einzunehmen.
    Der Anwalt trat in das Besuchszimmer, setzte sich, fragte
lächelnd nach ihrem Befinden und zog verschiedene Papiere
aus der Aktentasche.
    »Ich bin wegen Ihres Mannes hier«, sagte er. »Hier ist
sein Scheidungsantrag. Selbstverständlich übernimmt er alle
Krankenhauskosten für die Dauer Ihres Aufenthalts.«
    Diesmal wehrte sich Mari nicht. Sie unterzeichnete alles,
obwohl sie als Anwältin wußte, daß sie diesen Rechtsstreit
unendlich verlängern könnte. Anschließend ging sie zu Dr.
Igor und sagte ihm, ihre Symptome seien zurückgekehrt.
    Dr. Igor wußte, daß sie log, doch er verlängerte ihre Internierung auf unbestimmte Zeit.
Veronika beschloß, ins Bett zu gehen, doch Eduard blieb
neben dem Klavier stehen.
»Ich bin müde, Eduard. Ich brauche Schlaf.«
    Sie hätte gern für ihn weitergespielt, alle Sonaten, Requiems, Adagios, die sie kannte, aus ihrem betäubten Geist
wieder hervorgeholt, weil seine Bewunderung nicht fordernd war. Doch ihr Körper machte nicht mehr mit.
    Er war ein so gutaussehender Mann! Wenn er doch nur
ein bißchen aus seiner Welt herauskäme und in ihr die Frau
sähe, dann könnten ihre letzten Nächte auf dieser Erde die
schönsten ihres Lebens werden, denn Eduard war als einziger
imstande, sie als Künstlerin zu begreifen. Mit ihm war sie
über die Musik eine Verbindung eingegangen wie noch nie
zuvor mit jemandem.
    Eduard war der ideale Mann. Sensibel, gebildet, hatte er
eine uninteressante Welt zerstört, um sie in seinem Kopf neu
erstehen zu lassen, dieses Mal mit neuen Farben, Personen,
Geschichten. Und diese neue Welt schloß eine Frau, ein
Klavier und einen zunehmenden Mond mit ein.
    »Ich könnte mich

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