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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Geschichte richtig
interpretiert.«
    »Nichts gegen meine Großmutter«, rief Veronika, die
schon betrunken war, und alle drehten sich nach ihr um.
»Ein Hoch auf die Großmutter dieser jungen Frau!« sagte
Eduard und erhob sich. »Ein Hoch auf die Großmutter dieser
Verrückten hier, die wahrscheinlich aus Villete abgehauen
ist.«
Die Leute wandten sich wieder ihren Tellern zu und taten
so, als hätten sie nichts bemerkt.
»Ein Hoch auf meine Großmutter!« setzte Veronika nach.
Der Restaurantbesitzer trat an ihren Tisch.
»Bitte, benehmen Sie sich anständig.«
Sie beruhigten sich einen Moment lang, fingen dann jedoch wieder an, laut zu reden, sinnloses Zeug zu schwätzen,
sich unmöglich aufzuführen. Der Besitzer des Restaurants
kam wieder an ihren Tisch und sagte, sie brauchten nicht zu
zahlen, wenn sie augenblicklich das Restaurant verließen.
»Wir bekommen den sündhaft teuren Wein umsonst!«
prostete Eduard. »Wir sollten verschwinden, bevor es sich
der Mann anders überlegt.«
Doch der Mann überlegte es sich nicht anders. Er zog bereits mit gespielter Höflichkeit an Veronikas Stuhl, damit sie
sich schnell erhob.
    Sie gingen mitten auf den kleinen Platz im Stadtzentrum.
Veronika blickte zu ihrem Zimmer im Kloster hinauf und
wurde sofort wieder nüchtern. Ihr fiel wieder ein, daß sie
bald sterben würde.
»Kauf doch noch eine Flasche Wein«, bat sie Eduard.
    Es gab eine Bar in der Nähe. Eduard brachte zwei Flaschen mit, und sie tranken weiter.
»Was war denn falsch an der Deutung meiner Großmutter?« fragte Veronika.
Eduard war so betrunken, daß er große Mühe hatte, sich
an das zu erinnern, was er im Restaurant gesagt hatte.
»Deine Großmutter hat gesagt, daß die Frau den Fuß auf
die Schlange setzte, weil die Liebe Gut und Böse lenken
muß. Das ist eine schöne, romantische Interpretation, doch
darum geht es hier nicht. Ich habe dieses Bild schon gesehen, und es ist eine der Visionen des Paradieses, die ich einmal
malen wollte. Ich hatte mich schon damals gefragt, warum
die Heilige Jungfrau immer so dargestellt wurde.«
»Und warum?«
»Weil die Heilige Jungfrau, die weibliche Energie, die
große Beherrscherin der Schlange ist, die die Weisheit darstellt. Wenn du auf den Ring von Dr. Igor achtest, wirst du
feststellen, daß das Symbol der Ärzte darin eingraviert ist:
zwei Schlangen, die sich um einen Stab winden. Die Liebe
steht über der Weisheit wie die Heilige Jungfrau über der
Schlange. Für sie ist alles Inspiration. Sie richtet nicht über
Gut und Böse.«
»Weißt du was?« fragte Veronika. »Die Heilige Jungfrau
hat sich nie darum gekümmert, was die anderen dachten.
Stell dir vor, was es heißt, allen die Geschichte mit dem Heiligen Geist zu erklären! Sie hat überhaupt nichts erklärt. Sie
hat einfach nur gesagt: >Es ist so geschehen.< Weißt du, was
die anderen wahrscheinlich gesagt haben?«
»Na klar. Die haben gesagt, sie ist verrückt.«
Die beiden lachten. Veronika hob ihr Glas.
»Herzlichen Glückwunsch! Du solltest diese Visionen des
Paradieses malen, statt darüber zu reden!«
»Ich fange erst mal mit dir an«, antwortete Eduard.
    Neben dem kleinen Platz erhebt sich ein kleiner Hügel, und
auf dem Hügel steht eine kleine Burg. Veronika und Eduard
gingen den steilen Weg hinauf, fluchten und lachten, während sie auf dem Eis ausrutschten und meinten, nicht mehr
weiter zu können.
    Neben der Burg steht ein riesiger gelber Kran. Wer zum
ersten Mal nach Ljubljana kommt, wird annehmen, daß die
Burg restauriert wird und die Arbeiten bald abgeschlossen
sein werden. Die Bewohner Ljubljanas wissen jedoch, daß
dieser Kran schon seit Jahren dort steht, obwohl niemand
den wahren Grund dafür kennt. Veronika erzählte Eduard,
daß die Kinder im Kindergarten, wenn man ihnen sagt, sie
sollen die Burg von Ljubljana malen, immer auch den Kran
malen.
»Im übrigen ist der Kran besser erhalten als die Burg.«
Eduard lachte.
»Eigentlich müßtest du längst tot sein«, sagte er leicht lallend, doch mit einem Anflug von Angst in der Stimme.
»Dein Herz hätte diesen Aufstieg nicht ausgehalten.«
    Veronika gab ihm einen langen Kuß.
»Schau mein Gesicht genau an«, sagte sie. »Schau es dir
mit den Augen deiner Seele an, damit du es eines Tages
zeichnen kannst. Wenn du möchtest, fang erst mal mit mir
an, aber fang wieder an zu malen. Das ist mein letzter
Wunsch. Glaubst du übrigens an Gott?«
»Ja, schon.«
»Dann schwöre mir im Namen des Gottes, an den du

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