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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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der idealen Situation anzupassen, in der sie hier alle lebten.
    »Mari hat nie begriffen, wie glücklich wir hier sind«,
sagte einer von ihnen. »Wir haben Freunde mit gemeinsamen Neigungen, ein geregeltes Leben, hin und wieder nehmen wir draußen an einer Veranstaltung teil, laden Leute
ein, die uns über wichtige Dinge Vorträge halten, diskutieren
deren Vorstellungen. Unser Leben befindet sich in vollkommenem Gleichgewicht. Draußen gibt es viele, die von
einem solchen Leben nur träumen können.«
    »Einmal ganz davon abgesehen, daß wir in Villete vor der
Arbeitslosigkeit, vor den Auswirkungen des Bosnienkrieges,
den Wirtschaftsproblemen, der Gewalt geschützt sind«,
meinte ein anderer. »Wir haben die Harmonie gefunden.«
    »Mari hat mir einen Brief dagelassen«, sagte der, der die
Nachricht überbracht hatte, und zeigte einen verschlossenen
Umschlag. »Sie hat mich gebeten, ihn als eine Art Abschied
laut vorzulesen.«
Der Älteste von allen öffnete den Umschlag und kam
Maris Wunsch nach. Als er bei der Hälfte angelangt war,
     
wollte er aufhören, doch dazu war es zu spät, und so las er bis
zum Ende.
    Als ich noch eine junge Anwältin war, habe ich bei
einem englischen Dichter einen Satz gelesen, der mich
nachhaltig geprägt hat: »Sei wie der überfließende
Brunnen und nicht wie die Schale, die immer gleich
viel Wasser enthält.« Ich dachte immer, daß der Dichter
irrte, weil es gefährlich war überzuströmen, weil wir
Bereiche überschwemmen könnten, in denen geliebte
Menschen leben, und sie mit unserer Liebe und unserer
Begeisterung ertränken. Daher versuchte ich, mich mein
ganzes Leben lang wie die Schale zu verhalten, niemals
die Grenzen meiner inneren Wände zu überwinden.
    Dann erlebte ich aus Gründen, die ich nie verstehen
werde, Panikattacken. Ich verwandelte mich genau in
das, was zu sein ich immer vermeiden wollte: eine
Quelle, die überlief und alles um mich herum überschwemmte. Das Ergebnis war meine Einlieferung in
Villete.
    Nachdem ich geheilt war, wurde ich wieder zur
Schale, und dann traf ich Euch. Habt Dank für Eure
Freundschaft, Eure Liebe und für so viele glückliche
Augenblicke. Wir haben wie die Fische in einem
Aquarium zusammengelebt, glücklich, weil jemand uns
pünktlich das Futter hineinstreute. Und wir konnten,
wann immer wir wollten, die Welt draußen durch die
Scheibe betrachten.
Doch gestern wegen eines Klaviers und wegen einer
    Frau, die sicher heute schon tot ist, habe ich etwas
sehr Wichtiges herausgefunden: Das Leben hier drinnen
ist genauso wie das Leben draußen. Dort wie hier finden
sich die Menschen in Gruppen zusammen, richten ihre
Mauern auf und lassen nicht zu, daß etwas Fremdes
ihr mittelmäßiges Leben stört. Sie machen Dinge aus
Gewohnheit, gehen nutzlosen Problemen auf den
Grund und amüsieren sich, weil sie verpflichtet sind,
sich zu amüsieren, und was den Rest der Welt betrifft,
so soll er zum Teufel gehen und sehen, wie er
klarkommt. Allerhöchstem sehen sie sich, wie wir es
auch getan haben, die Nachrichten im Fernsehen an,
nur damit sie merken, wie glücklich sie in einer Welt
voller Probleme und Ungerechtigkeit sein können.
    Oder anders gesagt: Das Leben in der >Bruderschaft< ist genau wie das Leben in der Welt dort draußen.
Alle vermeiden zu wissen, was sich jenseits ihrer
Aquariumswände abspielt. Lange Zeit hindurch war
dies tröstlich und gut. Doch man ändert sich, und jetzt
bin ich auf der Suche nach dem Abenteuer. Auch wenn
ich schon 65 Jahre alt bin und weiß, welche
Beschränkungen mir das Alter auferlegt. Ich werde
nach Bosnien gehen. Dort gibt es Menschen, die auf
mich warten, obwohl sie mich nicht kennen und auch
ich sie nicht kenne. Doch ich weiß, daß ich nützlich
sein kann, und das Risiko eines Abenteuers ist mehr
wert als tausend Tage Wohlleben und Bequemlichkeit.
    Im Anschluß an die Verlesung des Briefes gingen die Mitglieder der >Bruderschaft< in ihre Zimmer oder Krankenstationen und sagten sich, daß Mari endgültig verrückt geworden sei.
Eduard und Veronika suchten sich das teuerste Restaurant in
Ljubljana aus, bestellten die besten Gerichte, betranken sich
mit drei Flaschen Wein Jahrgang 88, einem Jahrhunderttropfen. Während des Abendessens erwähnten sie weder
Villete noch die Vergangenheit, noch die Zukunft.
    »Mir hat die Geschichte mit der Schlange gefallen«, sagte er
und füllte sein Glas zum x-ten Mal. »Aber deine Großmutter
war sehr alt, sie wußte nicht, wie man die

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