Verräterherz (German Edition)
Geschichte schriftlich niederzulegen, bzw. sie schriftlich niederlegen zu lassen. Wenn ich schon nicht überdauern sollte, dann wollte ich, dass zumindest meine Geschichte noch eine Zeitlang weiter existierte. Und ich würde nicht zu lange warten dürfen, jemanden zu finden, der sie gekonnt niederschrieb, denn meine Zeit lief ab! So lernte ich Leon-Joel Fenouillet kennen – meinen Literaten.
Aber ich greife schon wieder vorweg, was er mir zweifelsohne nicht hätte durchgehen lassen. Er war ein sympathischer Pedant, was das Schreiben anging. Und vermutlich kann man auch nur so seine Leser fesseln ... sieh mir mein Unvermögen diesbezüglich also bitte nach.
~9~
In Gestalt von Jules machte ich mich am dritten Abend meiner Körperübernahme auf den Weg in ein gemütliches Bistro. Man bot dort kostenlosen Internetzugang an, was mir selbst einerlei war. Aber es war eine gute Methode, um herauszufinden, welche Finger rasch über die Tastatur flogen, und welche eher zögerlich tippten. Ich erkannte schon bald, dass mein Literat der schnellste Tipper im ganzen Lokal war. Zudem wirkte er sehr konzentriert und in sich ruhend. Es ist wichtig, dass ein Mensch diese innere Ruhe hat, wenn ich ihm nahe bin ... du erinnerst dich vielleicht an José Rodriguez? Auch er war damals aufgeregt gewesen – natürlich! Aber in Anbetracht der Tatsache, dass er den sicheren Tod vor Augen hatte, war er auf eine gute Art dennoch ruhig. Dies hatte ihm das Leben gerettet, und ich gebe zu, dass mir das auch jetzt noch imponiert, obwohl er mit Sicherheit inzwischen die Bekanntschaft mit Mademoiselle la mort gemacht hat; denn Menschen leben nun mal nicht ewig. Ja, ich gebe zu, dass mich Monsieur Fenouillet ein wenig an den mutigen Mexikaner erinnerte, der wohl tatsächlich eine Gabe besessen hatte, die ihn hinter meine Fassade blicken ließ, und der dennoch weiterleben durfte. Nun, wie du weißt, plante ich das auch für meinen Literaten ...
Als ich ihn bei seiner Tipperei unterbrach, war er anfangs nicht besonders begeistert. Schnell erfuhr ich, dass er an einem Buch arbeitete. Etwas länger hingegen brauchte ich, bis er mir gestand, dass er eben jenes Buch schon bei allen namhaften französischen Verlagen angeboten hatte und daraufhin recht einfach gehaltene Absagen in großer Fülle zur Antwort erhielt. Das war frustrierend, wie er mir eindringlich versicherte. Ich glaubte ihm, auch wenn ich zugeben muss, dass ich es nicht recht nachvollziehen konnte. Er erwähnte immer wieder das „Herzblut“, mit dem er seinen Text verfasst und seine Charaktere ausgearbeitet hatte. Ich war durch seine Wortwahl zeitweise etwas abgelenkt und konnte seinen Ausführungen nicht durchweg folgen, weil ich mich fragte, wie sein Herzblut wohl schmecken würde – frisch genossen, noch während er es in irgendwelche Figuren seiner abgewiesenen Romane fließen ließ.
Wir waren also so ins Gespräch gekommen und ich bekam recht schnell mit, dass er knapp bei Kasse war. Er hoffte zwar immer noch mit seinem Buch den großen Durchbruch zu schaffen, aber als ich ihm anbot, gegen Geld meine Geschichte aufzuschreiben, willigte er sofort ein. Wir machten einen Termin aus, den er penibel einhielt. Als er das erste Mal bei mir erschien, hatte er einen Rucksack dabei, in dem er sein Laptop transportierte, und zudem eine Thermoskanne. Als er es sich auf einem Stuhl am Küchentisch bequem gemacht hatte, schenkte er sich erst mal einen Becher Kaffee ein und fragte mich, ob ich auch einen möchte. Ich lehnte dankend ab, fragte ihn aber aus reiner Neugier, ob eine bestimmte Sorte bevorzuge. Er schien sich über mein Interesse zu freuen und nannte mir eine Marke, die ich natürlich nicht kannte. Schwarz und heiß war die Brühe, die er in sich hineinkippte, als hätte er sie bereits über Gebühr entbehren müssen. Dann legte er seine Hände auf die Tastatur und begann zu tippen, während ich erzählte. Wenn ich ihm über die Schulter sah – was ihn nicht zu stören schien – konnte ich erkennen, dass er die Sätze oftmals umformulierte, die ich von mir gegeben hatte. Ich erkannte plötzlich eine Schönheit in meinem Gesagten, die in Wahrheit nicht existierte. Und ich begriff, welch gute Idee es gewesen war, auf jemanden zurückzugreifen, der des schönen Schreibens mächtig war. Nun waren die Umstände natürlich so, dass ich ihm oftmals Dinge zu berichten hatte, die alles andere als schön waren. Ich weihte ihn ein, so wie ich dich nun einweihe. Und er schrieb, ohne ein
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