Verräterische Lippen
persönlich zeigen, wo die Señorita ist. Die Hälfte des Geldes geben
Sie mir jetzt, die andere, wenn Sie sie haben .«
»Woher
kennen Sie ihren Aufenthaltsort ?«
»Ich
bin ein aufmerksamer Beobachter .«
»Das
klingt ziemlich ausweichend. Also gut, wo haben Sie Señorita Mendez gefunden ?«
»Dürfte
ich bitte die fünftausend haben, Señor Roberts ?«
Ich
zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und reichte es ihm. Er steckte es
ein, ohne nachzuzählen.
»Jetzt
werde ich Ihnen den Weg zeigen .« Er trat einen Schritt
zurück. »Wir gehen zu Fuß«, erklärte er ruhig und wartete, daß ich voranging.
Die
Waffe in meiner Hand fühlte sich hart und kalt an.
Ich
begann, den Hügel hinabzusteigen, den Kopf halb zurückgewandt, um den Mann im
Auge zu behalten. Unten angelangt, gingen wir nebeneinander her.
»Warum
interessieren Sie sich für das Wohlergehen von Señorita Mendez, Señor Roberts ?« erkundigte er sich leise.
»Ich
sympathisiere mit ihrem Vater. Und ich halte sie für zu jung und zu schön, als
daß ich sie ohne jeden Rettungsversuch sterben lassen wollte. Außerdem war das
Honorar gut .« Wir gelangten zu einem Tor, gingen
hindurch und bogen nach rechts ab. Eine lange Straße erstreckte sich vor uns.
Ab und zu rasten ein paar Autos vorbei und erhellten die Dunkelheit mit ihren
Scheinwerfern. »Woher wußten Sie über mich Bescheid ?«
»Es
gibt Geheimnisse, die nur wenige Menschen kennen, und Geheimnisse, die viele
Menschen wissen, Señor Roberts«, antwortete er in dem gleichen ruhigen, höflichen
Ton. »Es gibt keine Geheimnisse, die niemand kennt .«
»Wenn
jemand Sie nach der Uhrzeit fragen würde«, sagte ich verbittert, »welche Chance
hätte er, eine Antwort zu bekommen ?«
»Eine
sehr gute, vorausgesetzt, er besitzt eine Uhr. Ich habe nämlich keine .« Er lächelte, so daß sich sein dünner Schnurrbart auf der
Oberlippe dehnte.
Es
dauerte eine halbe Stunde, bis wir eine Stelle am Fels erreichten, wo es steil
fünfzehn Meter abfiel. Die Straße führte knapp an den Felsen entlang, ohne Bürgersteig.
Etwa dreißig Meter unterhalb unseres Standortes umgab eine hohe Ziegelmauer ein
mindestens zweitausend Quadratmeter großes Grundstück mit einem modernen
Flachdachhaus der Achtzigtausend-Dollar-Klasse. Als Baumaterial war vorwiegend
Glas und Holz verwendet.
»Ist
dies das Haus ?« fragte ich.
»Es
führen Stufen hinunter«, erläuterte er. »Ich zeige sie Ihnen. Dann warte ich,
bis Sie mit dem Mädchen zurückkommen .«
»Ich
weiß nicht, ob ich gleich hineingehen soll«, antwortete ich gepreßt. »Wie
stehen meine Chancen? Und wie sollen wir ohne Wagen wegkommen ?«
»Dort
drüben ist ein Wagen .« Er wies auf die andere
Straßenseite, wo eine große, schwarze Limousine stand. Dann drückte er mir
einen Schlüssel in die Hand.
»Ist
das in den zehntausend Dollar inbegriffen ?«
Er
nickte.
»Sie
hätten glatt mehr verlangen können .«
Seine
Miene blieb unverändert. »Das Geld genügt«, antwortete er gemessen. Er spähte
zu dem Haus hinunter. »Ihre Chancen sind gut, Señor Roberts. Sie werden das
hintere Tor offen finden und nur drei Männer im Haus. Die dürften sich alle
vorne aufhalten. Das Mädchen schläft wahrscheinlich. Es befindet sich in einem
der rückwärtigen Schlafzimmer. Dem dort.« Er deutete auf ein dunkles Fenster,
dessen Lage ich mir einprägte.
»Woher
kennen Sie das Haus so genau ?« wollte ich wissen. Ich
war mir nicht sicher, ob ich ihm glauben oder aus reinem Selbsterhaltungstrieb
mißtrauisch bleiben sollte.
»Ich
bin schon drin gewesen«, entgegnete er. »Oft.«
»Auch heute abend ?«
»Ja.«
»Sie
arbeiten dort ?«
»Ja.«
Das
beantwortete etliche Fragen, die mich beunruhigten. Sofern er die Wahrheit
sagte.
»Kann
ich durch das Fenster einsteigen ?«
Er
nickte. »Es ist nur angelehnt. Ich habe den Riegel zurückgeschoben .«
Ich
starrte ihn an. »Warum verschwindet sie dann nicht selbst ?« stieß ich hervor.
»Sie
weiß nicht, daß das Fenster offen ist. Ich konnte es ihr nicht sagen .« Seine Stimme hatte einen ungeduldigen Beiklang bekommen.
»Sie
haben Ihr Geld verdient«, bemerkte ich anerkennend.
»Sie
werden sich Ihres genauso verdienen, Señor Roberts«, erwiderte er unterdrückt.
»Tut
mir leid, um Ihre Schwester .«
»Ich
habe viele Schwestern, Señor .«
Ich
folgte ihm bis zu den Stufen, die den Felsen hinunterführten. Während ich den
Abstieg begann, trat er in den Schatten eines ausladenden Busches mit
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