Verräterisches Profil
verfasst. Außerdem hatte Meier ein von Gruber geschriebenes Buch entdeckt. In dem dazugehörigen Verlagspressetext hieß es, Grubers Erkenntnisse beruhten auf einer von ihm durchgeführten empirischen Analyse serieller Tötungsdelikte in der Bundesrepublik Deutschland, für die der Hochschulprofessor unter anderem die staatsanwaltlichen Verfahrensakten abgeurteilter Serienmörder ausgewertet hatte.
Diese Informationen beeindruckten Beate. Vielleicht konnte er ihr tatsächlich helfen. Sie dankte Meier und tippte die Hamburger Telefonnummer ein.
»Gruber«, meldete sich ihr Gesprächspartner nach wenigen Sekunden Wartezeit.
»Hallo Herr Professor Gruber. Bauer hier. Jetzt bin ich bereit.«
»Lassen Sie bitte meinen Titel weg. Ich komme mir sonst so alt vor.«
Beate schmunzelte. »Wie sind Sie auf mich aufmerksam geworden?«
»Unsere Forschungsgruppe überprüft alle wichtigen Tageszeitungen Deutschlands. Dadurch sind wir vor einigen Wochen auf die grausame Ermordung der Familie und Ihren Namen als leitende Beamtin gestoßen. Wenn wir von einer solchen Tat lesen, verfolgen wir weiter, ob sich in der Zeit danach Ähnliches ereignet.«
»Und heute war ich vermutlich oft genug im Fernsehen zu sehen.«
»Über den Fall wurde praktisch auf allen Sendern berichtet. Haben Sie sich schon einmal mit der Täterprofilerstellung beschäftigt?«
»Ich bin ganz Ohr.«
In der nächsten halben Stunde hielt Gruber ihr einen Vortrag über alles, was mit der Profilerstellung zusammenhing. Er begann mit der psychologischen Variante, die ihre Wiege in den Vereinigten Staaten hatte, und schlug einen eleganten Bogen zu dem von ihm entwickelten empirischen Täterprofil. Anschaulich erklärte er ihr, worin die Unterschiede lagen und wie sich beide Profilarten ergänzten. Fasziniert hörte Beate zu. Sie konnte sich vorstellen, mit welcher Begeisterung Grubers Studenten seine Vorlesungen besuchten. Der Professor besaß das Talent, komplizierte Zusammenhänge spannend darzustellen.
»Aufgrund der Schwere der begangenen Verbrechen«, schloss Gruber, »könnte ich mir vorstellen, Sie aktiv zu unterstützen, indem ich vor Ort gemeinsam mit Ihnen ein Täterprofil erstelle.«
Wenn sie die vorherigen Ausführungen richtig verstanden hatte, wollte er so etwas wie ein Phantombild des Täters entwerfen, anhand dessen Verdächtige überprüft oder sogar erkannt werden konnten. Nur dass dieses Phantombild nicht das Aussehen, sondern die psychischen Eigenheiten des Mörders ans Licht bringen sollte. Außerdem würde er bei jedem Tatverdächtigen ermitteln, wie groß die Übereinstimmung mit dem empirischen Profil war. Das alles klang nicht so, als wäre es in einem Tag erledigt.
»Was wird Ihr Uni-Dekan dazu sagen?«
»Ich habe derzeit ein vorlesungsfreies Semester zwecks weiterer Studien.«
»Haben Sie der Polizei bereits früher bei Ermittlungen geholfen?«
»In vier Fällen. Dreimal wurde der Schuldige allerdings gefasst, bevor das Profil erstellt war.«
»Und in dem anderen Fall?«
»Dank des Profils geriet ein Verdächtiger in den Fokus, den zuvor niemand sonderlich beachtet hatte. Die Polizei konzentrierte sich auf ihn und fand belastende Indizien. Als er damit im Verhör konfrontiert wurde, gestand er. Soll ich Ihnen die Kontaktinformationen der Kommissare, mit denen ich zusammengearbeitet habe, per E-Mail zukommen lassen?«
»Nicht nötig.« Beate wusste nicht, wie ihre Kollegen und der Polizeipräsident darauf reagieren würden, doch sie war davon überzeugt, das Richtige zu tun. »Können Sie schon morgen zu uns kommen?«
»Können Sie mir ein gutes Hotel empfehlen? Am liebsten etwas außerhalb gelegen oder zumindest mit ausgiebigen Spaziermöglichkeiten in unmittelbarer Nähe.«
10
Kurz nach drei Uhr nachmittags betrat Professor Mark Gruber das gemeinsame Büro der Kommissare. Da Beate mittlerweile seinen Namen gegoogelt und auf einige Fotos gestoßen war, überraschte sie dessen attraktives Aussehen keineswegs: Für sein Alter von achtunddreißig Jahren wirkte er noch sehr jugendlich, was nicht zuletzt an seiner sportlich-schlanken Figur und der modernen, wuscheligen Frisur lag. Er trug ein schwarzes Hemd, eine blaue Jeanshose und dunkle Lederschuhe. Eine randlose Brille verlieh ihm einen intellektuellen Anstrich.
Nachdem sie ihm die Hand gereicht hatte, übernahm Beate die Vorstellung ihres Partners. Dann erkundigte sie sich nach der Anreise und dem empfohlenen Hotel, bevor sie ihm mit dem von Robert fürs Büro
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