Verräterisches Profil
worden. Die aufgeschlagene Seite zeigte das Hochzeitsbild eines jungen, attraktiven Paares, welches nie wieder einen Hochzeitstag feiern würde.
Im Unterschied zur vorherigen Tat hatte der Killer den Ehemann im Schlaf überrascht, ein Geschirrtuch auf dessen Gesicht gelegt und ihn mit einem Schuss in die Stirn exekutiert. Vielleicht hatte der Unbekannte dieses Vorgehen schon bei den Konrads geplant, was durch Wilhelm Konrads’ nächtliche Cybersexaktivität vereitelt worden war.
Die Frau hatte wesentlich länger leiden müssen. Auf ihrem Mund klebte ein Streifen des gleichen Klebebandes, mit dem ihre Hände hinter dem Rücken zusammengebunden waren. Die blauen Flecke und Risswunden auf Körper und Gesicht ließen erahnen, welche Schmerzen sie vor dem Tod hatte ertragen müssen.
Das achtjährige Mädchen war wie Julia mit seinem eigenen Kopfkissen erstickt worden.
Noch fehlte der unumstößliche Beweis, dass es sich um denselben Täter handelte. Doch die Parallelen waren unverkennbar. Ein Nachahmungsverbrechen konnte Beate ausschließen, da der Presse zu viele Tateinzelheiten verschwiegen worden waren. Zwar würde erst die Analyse des Spermas absolute Gewissheit bringen, aber für sie gab es keinen Zweifel: Der gleiche Mörder hatte erneut zugeschlagen. Die durch die Besprechung vor einigen Wochen aufgekommene Vermutung, es könnte sich um einen Serientäter handeln, schien sich zu bewahrheiten.
***
Um Viertel nach neun abends kam sie nach einem der härtesten Arbeitstage ihrer Laufbahn nach Hause.
Gerade als sie den Haustürschlüssel aus ihrer Tasche zog, öffnete ihr Mann Sebastian die Tür.
»Hallo Schatz«, flüsterte Beate erschöpft. Sie küssten sich ohne große Leidenschaft. Es war eher ein zur Heimkehr gehörendes Ritual.
»Da ist jemand am Telefon für dich. Ein Mark Gruber.«
Beate nahm Verärgerung in Sebastians Tonfall wahr. Als sei der späte Dienstschluss oder der Anruf ihre Schuld. An einem Tag wie diesem würde sie ihm jedoch keine Gelegenheit geben, sie in einen Streit zu verwickeln.
»Mark Gruber?« Der Name sagte ihr nichts.
»Er meint, es sei wichtig.«
»Meinen sie das nicht alle?« Falls dieser Anrufer ein Medienvertreter war, würde sie ihn schroff abweisen. Für Medienanfragen war die Pressestelle des Präsidiums zuständig.
»Bauer«, meldete sie sich gereizt.
»Guten Abend, Frau Bauer«, erwiderte ihr Gesprächspartner mit einer angenehmen Stimme. »Ich bin Mark Gruber und rufe in der Hoffnung an, Ihnen behilflich sein zu dürfen.«
»Wobei?«
»Bei Ihrer aktuellen Ermittlung.«
Mit dieser Antwort weckte er Beates Aufmerksamkeit. Ihr schoss die Möglichkeit durch den Kopf, dass gerade der Mörder Kontakt zu ihr aufnahm. »Wer sind Sie und warum kontaktieren Sie mich unter meiner privaten Telefonnummer?«
»Weil ich Sie im Büro laut Aussage der Zentrale lediglich um fünf Minuten verpasst habe. Ich bin Professor für Kriminalistik und Kriminalpsychologie an der Hamburger Universität.«
»Professor für Kriminalistik und Kriminalpsychologie?«, wiederholte Beate überrascht.
»Ja. Ich leite in der Hansestadt eine Forschungsgruppe, die sich mit Serienmördern befasst. Deshalb –«
»Herr Gruber«, unterbrach Beate ihn. »Entschuldigen Sie bitte, aber ich bin eben erst nach Hause gekommen. Kann ich Sie in einer halben Stunde zurückrufen?«
»Kein Problem.« Gruber gab ihr eine Rufnummer, ehe er das Gespräch mit einer höflichen Verabschiedung beendete.
Nachdenklich starrte Beate auf das Ölgemälde an der Wand. Eine Forschungsgruppe, die sich mit Serienmördern beschäftigte? Trieben wirklich so viele Serienkiller in Deutschland ihr Unwesen, dass es dafür einen Forschungszweig gab?
»Was hast du mit einem Professor zu schaffen?«, fragte Sebastian, der offensichtlich einen Teil des Telefonats mitbekommen hatte.
»Bislang nichts.« Beate drehte sich zu ihm um. »Ich muss mal eben ins Arbeitszimmer.« Nicht, dass sich der Anrufer für jemanden ausgab, der gar nicht existierte.
Auf halbem Weg verwarf sie jedoch das Vorhaben, selbst zu recherchieren. Stattdessen wählte sie die Handynummer von Stefan Meier und bat ihn, im Internet Auskünfte über einen gewissen Mark Gruber zusammenzutragen. Meier sagte ihr schnellstmöglich einen Rückruf zu.
Zwanzig Minuten später referierte der Polizist über Professor Doktor Mark Gruber, einen Dozenten der Universität Hamburg. Neben seiner Lehrtätigkeit hatte der Mann zahlreiche Internetartikel zum Thema ›Serienmord‹
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