Verrat und Verführung
sanftes Licht, und das plötzliche Bedürfnis zu weinen verengte ihre Kehle. „Wie wollt Ihr mir denn helfen?“, würgte sie leise hervor. Dann fürchtete sie, Lord Rockley würde zu viel in ihre Frage hineingeheimnissen, rang um ihre Selbstbeherrschung und zwang ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen. „Ihr könnt mir nicht helfen, Sir.“
Jetzt neigte er sich noch näher zu ihr, sein Atem wärmte ihre Wangen. „Das glaube ich Euch nicht. Für die Schwierigkeiten, die Euch aufgebürdet wurden, solltet Ihr Euch nicht verantwortlich fühlen.“
Wenn es doch so wäre, wünschte Christina. „Derzeit ist es … nicht so einfach auf Oakbridge. Sicher habt Ihr gemerkt, wie heruntergekommen ein Großteil des Hauses wirkt. Zu Lebzeiten meines Vaters war es ganz anders. Nach seinem Tod musste ich lernen, stark zu sein. Nicht nur für mich selbst, auch für meinen Bruder.“
In Lord Rockleys Miene las sie nicht, was er dachte. Aber er musste Bescheid über Williams Spielsucht wissen, die ihn in London ruiniert hatte.
„Wie ich gestehen muss, Christina, für mich seid Ihr ein einziger Widerspruch – in allen Dingen.“
„Was meint Ihr damit?“, fragte sie verwirrt.
„Eben noch erscheint Ihr mir zerbrechlich und schwach und sehr verletzlich. Und im nächsten Moment seid Ihr stark und entschlossen, sogar ziemlich eigensinnig.“
„Ach, du lieber Gott!“ Nun lächelte sie wieder. „So schlimm ist es, Lord Rockley?“
„Ja, leider. Übrigens, ich heiße Simon.“
„Aber … Ihr kennt mich kaum …“
Er schüttelte den Kopf. „Da täuscht Ihr Euch“, widersprach er in entschiedenem Ton. Noch immer umfasste er ihre Hand, streichelte ihre Finger und jagte einen heißen Schauer durch ihren Körper. „Nur anschauen muss ich Euch. Dann weiß ich alles, was ich über Euch wissen muss, kenne Eure Schönheit, Euren Kummer, Eure Kraft, Euren Mut.“
In ihren Augen brannten Tränen, und sie senkte den Kopf. In der Gegenwart dieses Mannes spürte sie fast greifbar den Schutz, den er ihr bot, und eine wachsende Sehnsucht in ihrem Innern, als würde ihre Seele sie zu einem Geständnis drängen. „Gar nichts kennt Ihr“, wisperte sie. „Welches Leben ich führe, könnt Ihr unmöglich wissen.“
„Doch. Wie viel ich weiß, ahnt Ihr nicht.“
Seine Stimme nahm einen liebkosenden Klang an und erinnerte Christina an die verzehrenden Küsse. Plötzlich hatte sie das Gefühl, bei jener leidenschaftlichen Umarmung wäre etwas erwacht, das zuvor unbemerkt in ihr geschlummert hatte. Noch nie hatte sie den Wunsch verspürt, einem Mann so nahe zu sein, und sich solch gefährliche Emotionen niemals gestattet.
Behutsam zog Simon ihre Finger an seine Lippen. „Passt gut auf Euch auf, Christina. Seid versichert, bald werde ich Euch wieder besuchen.“
William trat an die Seite seiner Schwester. Gemeinsam beobachteten sie, wie Lord Rockley mit seinem Kammerdiener davonritt, und warteten, bis die beiden Männer aus dem Blickfeld verschwanden. Dann gingen sie ins Wohnzimmer.
„Er hat gesagt, er kommt zurück“, erklärte Christina tonlos. „Warum hast du ihn zum Lunch eingeladen? Das fand ich erstaunlich – wo du seine Abreise doch kaum erwarten konntest. Gab es einen Grund dafür?“
Williams Lippen zitterten. In seinen Augen schimmerten Tränen. „Heute erhielt ich einen Brief von Miranda. Demnächst wird sie London verlassen – und so dauert es nicht mehr lange, bis ich sie wiedersehen werde.“
Also hat sich seine Stimmung geändert, dachte Christina. „Ah, ich verstehe. Wenn Mr Kershaw und seine Tochter nach Oakbridge kommen, wird es uns sehr schwerfallen, den beiden zu verheimlichen, was hier passiert – es sei denn, wir beenden das Grauen schon vor ihrer Ankunft. Lord Rockley hat mit dir über Mark Buckley gesprochen, nicht wahr?“
Unglücklich nickte William. „Großer Gott, Christina, ich hatte keine Ahnung, dass der Kerl ein Jakobit ist. Das musst du mir glauben.“
„Ja, ich glaube dir. Aber er war fest entschlossen, Oakbridge für seine Zwecke zu missbrauchen, und so hätte es ohnehin keinen Unterschied gemacht.“
„Schon immer spürte ich, dass es ihm nicht nur um die Diebstähle ging. Aber so etwas … Und ich Idiot hegte keinen Augenblick lang den Verdacht, er könnte ein Katholik sein!“
„Weil er dir Sand in beide Augen streute. Hast du Lord Rockley irgendetwas verraten?“
„Nein, aber bei Gott – ich wollte es!“ Schmollend wie ein zu Unrecht bestraftes Kind ging er zu einem Tisch,
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