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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Aktenschrank aus Stahl mit drei Schubladen. Er zog die oberste auf.
    Eine Welle der Erleichterung durchflutete ihn, als er seine HK darin fand, komplett mit Schalldämpfer. Das Magazin lag daneben. Er zählte die Patronen und steckte das Magazin wieder in den Griff. Fühlte sich gleich viel besser. Die HS2000 steckte er in die Jackentasche. Vielleicht konnte er sie noch gebrauchen.
    Schon hörte er unten hastige Schritte. In einem Reflex suchte er Deckung hinter der Tür, versetzte ihr mit dem Fuß einen leichten Stoß und wartete mit angehaltenem Atem. Stampfende Füße auf der Treppe. Wie viele waren sie? Er lauschte aufmerksam. Keuchte vor Anspannung. Sie hatten den Flur erreicht. Kamen auf ihn zu. Im nächsten Moment flog die Tür auf, ihm beinahe ins Gesicht.
    Das Erste, was er sah, war der Hinterkopf des Halslosen. Ohne lange nachzudenken, zielte er und schoss. Ohne abzusetzen, schoss er noch zweimal in Brusthöhe um die Tür herum, auf gut Glück. Duckte sich danach blitzschnell. Ihm dröhnten die Ohren von dem Luftdruck und dem Knall. Er wartete auf eine Reaktion in Form von mindestens einem Schuss durch die Tür. Doch es passierte nichts. Er hörte jemanden wegrennen. Die Schritte hämmerten durch den Flur und die Treppe hinunter.
    Er sprang hinter der schützenden Tür hervor, trat über den Halslosen hinweg und wäre beinahe über einen zuckenden Körper gestolpert, der quer in der Türöffnung lag. Zwei intelligent blaue Augen schauten ihn aus einem pockennarbigen Gesicht heraus angstvoll an. Der Atem des Mannes ging pfeifend, Blut lief ihm in einem Rinnsal aus dem Mund, und er hielt eine blutverschmierte Hand an die Brust gepresst, wo sich ein hellroter Fleck rasch ausbreitete. Er dachte nicht lange nach, hielt dem Mann die HK an die Schläfe, schloss die Augen und drückte ab.
    Ohne sich noch einmal umzusehen, rannte er den Flur entlang und die Treppe hinunter. Unten angekommen spürte er einen kalten Luftzug. Er kam von der Rückseite des Hauses. Parallel zur Treppe lief er nach hinten und gelangte in eine Art Vorratsraum oder angebauten Schuppen. Dort gab es eine Tür nach draußen, die sperrangelweit offen stand.
    Da wurde ihm klar, dass der Nike-Träger nicht bewaffnet war. Er floh, als wäre ihm der Teufel auf den Fersen. Also war er nicht nur unbewaffnet, sondern auch nicht an Gewalt gewöhnt. Gehörte wahrscheinlich nicht zum Club dazu. Vielleicht ein Kunde. Oder ein Kurier. Aber er hatte sein Gesicht gesehen. Wer immer er auch sein mochte und was immer er hier tat, er durfte ihn nicht entkommen lassen. Draußen gelangte er in einen ummauerten Innenhof, geisterhaft erleuchtet von einer Laterne, deren schüsselförmiger Schirm knapp über die bemooste Mauer hinausragte. Er wusste, dass hinter der Mauer eine Gasse verlief, die in östlicher Richtung in die Hauptstraße mündete. Er nahm Anlauf und schwang sich über die Mauer. Landete unsanft auf dem harten Straßenpflaster und schnappte nach Luft. Sein Rücken verursachte ihm furchtbare Schmerzen. Ihm dröhnte der Schädel. Er war außer Atem. Völlig erledigt.
    Adrenalin wirkte scheinbar nicht ewig.
    Außer der niedrigen Hofmauer gab es keine weiteren Einfriedungen entlang der Gasse. Nur Hausfassaden auf der rechten Seite und links die Rückseite einer Fabrik. Er sah keine Gestalt um die Ecke flüchten. Es gab keine Autos oder Container, hinter denen sich der Mann hätte verbergen können.
    Er kam zu spät.
    Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder der Nike-Träger war nach rechts in Richtung der Hauptstraße gerannt, die höchstens hundert Meter entfernt lag, oder er war nach links gelaufen, und dann gab es wiederum drei verschiedene Möglichkeiten, weil ein paar Meter weiter drei Straßen zusammenliefen.
    Er zwang seinen Körper über die Grenzen der Erschöpfung hinaus und rannte, so schnell er konnte, bis an die Ecke der Hauptstraße. Blieb stehen. Schaute sich um. Nichts. Er rannte wieder zurück und merkte, wie er immer stärker keuchte. Flecken tanzten vor seinen Augen. Er gelangte an eine Weggabelung. Keine Menschenseele. Die Straßen lagen verlassen da. Er hatte ihn verloren.
    Außer Atem lehnte er sich gegen die Mauer. Zog die Nase hoch und wischte sich den Rotz mit dem Ärmel ab. Schloss kurz die Augen und kämpfte gegen die Erschöpfung, die Schmerzen und die Übelkeit an. Dann schraubte er den Dämpfer von seiner HK, steckte diesen in die Jackentasche und die Waffe zurück in das Holster. Stolperte zurück bis an die Hauptstraße.

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