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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Blickte sich um. Niemand. Überquerte die Straße. Kein Mensch weit und breit.
    Zwei Straßen weiter stand sein Motorrad. Er setzte den Helm auf, zog die Handschuhe an und startete den Motor. Wenige Minuten später verließ er Venlo.
    In Richtung Heimat.
    Das Gute war, dass er überlebt hatte und der Boss - oder wen auch immer sie angerufen hatten - mehrere Leichen zu bergen hatte. Das Schlechte war das lose Ende. Er verspürte keinerlei Euphorie, und das hatte nicht nur etwas mit dem entwischten Niketräger zu tun oder damit, dass ihm die Beute entgangen war. Johnny und Hase lagen ihm auf der Seele. Vor allem um Hase tat es ihm leid. Er hatte ihn lange observiert, so lange, dass es ihm vorkam, als hätte er ihn gekannt. Wie einen Nachbarn oder den Metzger oder Bäcker. Hase war kein wirklich schwerer Junge gewesen. Irgendwann hätte er vielleicht die zukünftige Frau Hase kennen gelernt, hätte sich einen Job gesucht und wäre ein braver Familienvater geworden. Das alles hatte er ihm innerhalb weniger Minuten kalter Wut weggenommen. Abgesehen davon konnte er kaum glauben, dass er wirklich einen Menschen mit seinen bloßen Händen umgebracht hatte. Dass er das einfach so fertig gebracht hatte. Er hoffte, er würde das nie wieder tun müssen.
    Auf der Autobahn herrschte nur wenig Verkehr, und die Laternen waren ausgeschaltet. Vor ihm der Scheinwerferkegel, um ihn herum Schwärze. Er klemmte die Knie fester um den Tank und zog die Maschine, ohne vom Gas zu gehen, durch eine scharfe Kurve. Ihm brummte der Schädel. Kilometerweit fuhr er mit Vollgas, verließ sich auf sein Gefühl und seine Erfahrung. Überholte einige wenige Autos, die zu stehen schienen. Je mehr er sich seinem Zuhause näherte, desto schmutziger fühlte er sich. Es war, als rinne das Blut der Toten durch seine Adern und erwecke ein Monster in seinem Inneren zum Leben, das seine fauligen Tentakel ausstreckte bis tief in seinen Geist hinein.
    Die ganze Sache lief allmählich gehörig aus dem Ruder.

9
     
    Seit Freitag war die Spannung zum Schneiden gewesen. Er war wie ein Feigling geflüchtet, um Alice nicht unter die Augen treten zu müssen. Nachts hatten sie nebeneinander im Bett gelegen, jeder in seine eigenen Gedanken eingeschlossen, nicht im Stande, Worte hervorzubringen. Oder nicht mutig genug, sie auszusprechen. Heute Morgen hatte er sie im Badezimmer rumoren hören. Erst als das Röhren ihres alten Porsche 944 verklungen war, war er widerwillig aus dem Bett gestiegen und hatte sich eine Tasse von dem Kaffee eingeschenkt, den Alice gekocht hatte. Aus Gewohnheit vielleicht, wer weiß.
    Nun saß er an dem quadratischen Esstisch im Wohnzimmer. Aus den Lautsprechern jaulte die Stimme des Bush-Frontmanns Gavon Rossdale: She comes to take me away. It’s all that I needed. Wie wahr. Er fühlte sich innerlich zerrissen und leer und hatte das Gefühl, dass sein ganzes Leben auf tönernen Füßen stand. Rauchte Zigarette um Zigarette und kam zu der Erkenntnis, dass er eine Entscheidung treffen musste. Heute noch. Für Alice. Und für sich selbst.
    Er hatte seine Beziehung zu Alice nie ernsthaft analysiert. Sie war einfach da gewesen. Erst jetzt, siebzehn Jahre nachdem sie sich kennen gelernt hatten, wusste er, warum er sich in sie verliebt hatte. Sie verfügte über eine sprudelnde Energie, die ihn in Zeiten, in denen er selbst keine Kraft besaß, aufrecht hielt. Ohne Alice hätte er es nie so weit gebracht. Mit ihrem naiven Enthusiasmus und ihrem Durchsetzungsvermögen war sie die treibende Kraft hinter Sagittarius gewesen. Vom allerersten Kunden an, der bereit gewesen war, einem pickligen Jungen, der gut mit Computern umgehen konnte, eine unterbezahlte Chance zu geben, bis hin zu dem Bau des Bürogebäudes, das fünfzig Angestellte beherbergte. Sagittarius, sein Anker in der Realität. Sein fester Halt, der seinem Leben eine Struktur verliehen und ihm geholfen hatte, etwas aus sich zu machen.
    Doch Alice’ Begeisterung und Einsatzbereitschaft hatten dieses nagende Gefühl der Unruhe in seinem Inneren nicht verdrängen können. Vor ungefähr fünf Jahren hatte es schließlich sein ganzes Denken derart beeinflusst, dass er es nicht länger unterdrücken konnte. Mit Vernunft war diesem Zustand nicht mehr beizukommen. Die Firma engte ihn einfach ein. Er fühlte sich in zunehmendem Maße wie ein routinierter Schauspieler in einer seit dreißig Jahren laufenden Seifenoper. Gewissenhaft spulte er seinen Text herunter und heuchelte Gefühle, die er nicht

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