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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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und Menschen hatten sich hinter den alten Fassaden angesiedelt. Kurz vor der Zugbrücke über den Zuid-Willemsvaart, der sich kerzengerade durch das Stadtzentrum zog, überquerte sie im Slalom die Straße, sorgfältig den Fahrradfahrern, Mopeds und Inlineskatern ausweichend.
    Nach wenigen Minuten stand sie vor einer roten, mit Flugblättern beklebten Tür, von der die Farbe abblätterte. Wie üblich hing ein Seil mit dem Schlüssel daran aus dem Briefkastenschlitz. Sie schloss die Tür hinter sich und zwängte sich seitlich an den Fahrrädern und Bierkästen im Hausflur vorbei. Erklomm die steile Treppe. Hörte das beruhigende Klimpern einer Gitarre, die gerade gestimmt wurde. Reden. Lachen.
    Oben in einem weiteren kleinen Flur befand sich eine alte Holztür, die über und über mit Graffiti beschmiert war und von der ein mitgenommener Bakelitgriff herunterbaumelte. Es roch nach Marihuana, Elektronikkram, Bier und feuchtem Beton. Sie öffnete die Tür, indem sie ihr mit der Hüfte einen Schubs versetzte.
    Der Proberaum war eine Mischung aus den Kulissen für Trainspotting und einer vergammelten Fabrikhalle. Überall Graffiti. Auf dem Boden lagen dutzende schwarzer Kabel, Verlängerungsschnüre und Kabeltrommeln. Mehrere Verstärker standen herum. Leere Bierflaschen. Weggeworfene Tabakpäckchen. Als Erstes sah sie Jos, den Schlagzeuger.
    »Hi, Susi.«
    Es fiel ihr auf, dass seine Pupillen geweitet waren. Im Stillen hoffte sie, dass Reno nie in die Versuchung käme, mit harten Drogen zu experimentieren. Es wäre sein Tod.
    »Hi, Jos«, grüßte sie zurück und ging weiter durch zu Reno, der in einer Ecke des Proberaums saß und Gitarre spielte. Unterwegs nickte sie Maikel zu, dem Bassisten, der auf seinem Instrument Akkorde übte. Alex stand mit dem Rücken zu ihr, eine Hand am Ohr, und versuchte, inmitten des ganzen Lärms mit dem Handy zu telefonieren. Von dem wilden, langen, schwarzen Haar, das er vor einem halben Jahr noch gehabt hatte, war nur ein Pferdeschwanz am Hinterkopf übrig geblieben, wie bei einem Samurai. Dort, wo vorher Haare gewesen waren, prangte jetzt eine dunkelblaue Schießscheibe. Noch mehr Tätowierungen, und seine ursprünglich hellolivfarbene Haut wäre für immer unsichtbar.
    Reno war ganz vertieft in sein Gitarrenspiel. Sie setzte sich vor ihn hin, nachdem sie sich zuerst ein Stück Pappe untergelegt hatte. Der ganze Boden war mit Bier-, Cola- und Limonadeflecken übersät. Sie wartete, bis er wieder auf die Erde zurückgekehrt war.
    »Yo, San.«
    »Yo.« Sie lächelte.
    »Hör dir das mal an«, sagte er und begann, ein langsames Stück zu spielen. Präzise griffen seine mageren Finger die Akkorde. Glitten über die Saiten. Liebkosten das Instrument. Leise sang er dazu, mit geschlossenen Augen. Was er sang, konnte sie kaum verstehen. Er flüsterte fast. Schwebte wieder in anderen Sphären. Allmählich entspannte sie sich. Reno verdient ein Denkmal, dachte sie bei sich, einfach weil er ist, wie er ist. Einzigartig.
    Der letzte Akkord verklang, und er schaute sie durch eine Gardine fettiger Strähnen fragend an.
    »Schön«, sagte sie. »Wirklich schön.« Sie wischte sich die Tränen weg.
    »Hast du was, San?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nichts, woran du irgendetwas ändern könntest. Das Stück ist echt toll.«
    »Das Stück ist echt Scheiße.«
    Die tiefe Stimme von Alex. Sie blickte zu ihm hoch. Nicht nur die Haare verliehen ihm Ähnlichkeit mit einem Samurai.
    »Ach ja?«, fragte sie provozierend.
    »Dieses Gesülze verkauft sich kein Stück. Und das weiß er selbst ganz genau«, sagte Alex und wies mit dem Kinn auf Reno, der mit relativ gelassener Miene zuhörte.
    »Er soll endlich aufhören, sich für Kurt Cobain zu halten«, höhnte Alex. »Cobain ist tot, okay? Cobain war ein depressiver Loser, der sich in seiner Dachkammer in den Kopf geschossen hat.«
    Susan wollte sich eigentlich nicht einmischen. Das war etwas, was Reno selbst regeln musste. Aber sie konnte einfach den Mund nicht halten. »Was bist du doch manchmal für ein unglaublich blöder Sack, Alex. Ist dir vielleicht bisher was Besseres eingefallen?«
    Alex schnaufte verächtlich. Nickte unaufhörlich vor sich hin, als hätte er ein Scharnier im Nacken. Auf seiner Stirn und an seinem Hals traten Adern hervor. Seine dunklen Augen blitzten.
    »Ja, und zwar etwas viel Besseres als dieser Mist, den er verzapft. Ich habe keine Lust, für den Rest meines Lebens in diesem stinkigen Loch hier zu hocken und Mitleid erregend und

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