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Verraten

Verraten

Titel: Verraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Teiches, in dem seine Kois sofort zu ihm hingeschwommen kamen. Sie waren gut einen halben Meter lang. »U-Boote« hatte Alice sie immer genannt. Zierlich waren sie tatsächlich nicht mit ihren abgeplatteten, zylindrischen Fischleibern, den kurzen, dicken Flossen und ihrer gemächlichen, bedächtigen Art zu schwimmen. Die Fische und das kristallklare Wasser hatten immer eine reinigende Wirkung auf seinen Geist gehabt, aber heute ging ihm das Schmatzen ihrer großen, schnappenden Mäuler an der Wasseroberfläche nur auf die Nerven. Um Futter bettelnd schienen die Tiere ihm klarzumachen, dass das Leben weiterging, mit oder ohne Alice.
    So fühlt es sich also an, dachte er, während er aufstand und mit den Händen in den Taschen die Fische beobachtete. So fühlt es sich an, wenn ein Mensch von einem weggerissen wird. So fühlen sich jeden Tag tausende, nein, zehntausende Menschen. Was ist das nur für eine gottvergessene Scheißwelt.
    Er hob einen Kieselstein vom Boden auf und schleuderte ihn heftig mitten zwischen die schnappenden Fische. Die Tiere tauchten blitzschnell ab und verschwanden in der Tiefe.
    Er wünschte, er hätte weinen können, aber es kamen keine Tränen, und seine Versuche versandeten in einem lautlosen Schluchzen.
    Knapp zwei Stunden später klingelte es an der Tür. Das musste der Bestatter sein. Etwas in ihm hätte den Mann am liebsten vor der Tür stehen lassen, als würde Alice’ Tod erst zu etwas Unumstößlichem, wenn er ihn hereinließ. Aber natürlich würde das nichts an der Tatsache ändern. Alice war tot. Und das konnte man nicht ungeschehen machen. Das Letzte, was er noch für sie tun konnte, war, für das theatralische Begräbnis zu sorgen, das sie sich gewünscht hatte.
    Der Bestatter war ein unauffälliger Mann unbestimmten Alters in einem unauffälligen Anzug. Er konnte ihn auf den ersten Blick nicht leiden.
    Während er den Mann bat, auf dem Sofa Platz zu nehmen, klingelte es erneut an der Tür. Diesmal war es ein Bote mit einem Päckchen, dessen Empfang er quittieren musste. Ohne nachzusehen, von wem es kam und was darin war, legte er es auf das Tischchen neben der Eingangstür und vergaß es gleich darauf.
    Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, hatte der Mann es sich bereits in einer Ecke des Sofas bequem gemacht. Ihm fiel auf, wie er anerkennend die teure Einrichtung musterte. Für den Bestattungsunternehmer ging es hier um ein Geschäft, es war seine Art, sein Einkommen zu erwerben. Er hatte den krisensichersten Beruf überhaupt; solange Menschen lebten, starben sie auch, daher mangelte es nie an Kunden. Die Angehörigen mäkelten nicht herum oder versuchten, Rabatte herauszuschlagen, weil ihnen für den teuren Verstorbenen nur das Beste gut genug war.
    Als ihn der Mann hereinkommen hörte, verwandelte sich sein Gesichtsausdruck prompt in eine förmliche Maske, und er öffnete einen Aktenkoffer mit verschiedenen dicken Broschüren und Ordnern. Sil konnte sich, ohne einen Blick darauf zu werfen, ausmalen, dass sie Abbildungen von Särgen, Kränzen, Grabplatten und Urnen enthielten. Er brauchte sich das alles gar nicht erst anzuschauen.
    Alice hatte einen weißen Sarg gewollt. Diesen Wunsch hatte sie vor langer Zeit einmal geäußert, als das Thema im Laufe eines nächtlichen, alkoholumnebelten Gesprächs zur Sprache gekommen war. Wie die meisten Menschen, die über ihre eigene Beerdigung reden, hatte sie es mehr oder weniger scherzhaft gesagt. Als sei es ein Witz. Allerdings mit einem ernsten Unterton. Vielleicht konnte er sich deswegen so genau daran erinnern.
    Er wiederum hatte ihr erzählt, dass er lieber ausgebeint und an herrenlose Hunde im Tierheim verfüttert werden wollte. Die Tierheime baten jedes Jahr um Spenden, weil immer mehr verstoßene, hungrige Hunde dazukamen und sie scheinbar chronisch über zu wenig Geld verfügten, um die Tiere ordentlich zu ernähren. Wenn er bei seinem Ableben noch immer seine neunzig Kilo wöge, hatte er zu Alice gesagt, dann würden sehr viele arme Hunde ein eiweißreiches und nahrhaftes Festmahl bekommen. Und er hätte am Ende doch noch etwas Sinnvolles in dieser Welt vollbracht. Er hatte ebenso scherzhaft davon geredet, wie Alice sich ihre Filmstar-Beerdigung ausgemalt hatte. Und ebenso wie Alice hatte er es aus tiefstem Herzen ernst gemeint.
    Wären ihre Rollen umgekehrt gewesen, hätte er niemals seine Hundemagen-Bestattung erhalten. Aber eine Beerdigung, wie Alice sie sich gewünscht hatte, lag durchaus im Rahmen des gesellschaftlich

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