Verraten
den Spezialeinheiten versetzt, wo sie noch härter trainierten und lernten, mit Waffen und Sprengstoff umzugehen, sich unsichtbar zu machen und in der Dunkelheit zu operieren.
Es ging ihnen gut. Die Baracken waren geheizt, es gab genug zu essen, und sie hatten Geld, um sich zu amüsieren. Einer von ihnen lernte ein Mädchen kennen und wollte heiraten. Im Nachhinein betrachtet waren das die besten Jahre ihres Lebens.
Aber die Zeiten änderten sich.
Durch die Wirtschaftskrise in ihrem Land wurde der Sold manchmal monatelang nicht ausbezahlt. In der Kaserne wurde das Essen rationiert und die Atmosphäre immer angespannter. Sie sahen einen Kameraden nach dem anderen fortgehen, auf der Suche nach besseren Möglichkeiten, als ihre Heimat ihnen bieten konnte.
Als sie in einer Bar einen reichen Kerl aus Rostow kennen lernten, der ihnen das Dreißigfache ihres Solds anbot, nahmen sie sein Angebot an, ohne lange darüber nachzudenken. Die Arbeit sei gefährlich und müsse unter äußerster Geheimhaltung ausgeführt werden. Gleichgültig hatten sie mit den Schultern gezuckt. Das war genau das, wozu sie ausgebildet worden waren. Nichts Neues für sie. Sie waren es nicht anders gewöhnt. Überall auf der Welt musste der Müll weggeräumt werden und niemand wollte sich die Hände schmutzig machen.
Vor sieben Jahren waren sie über Tschechien nach Westeuropa gekommen. Seitdem verband sie nur noch ihre Muttersprache mit ihrem Heimatland, das sie ausgesaugt hatte bis auf die Knochen und sie zu dem gemacht hatte, was sie waren: namenlose, unsichtbare Müllmänner.
Ihre Auftraggeber konnten sich bei ihren Instruktionen auf vier Punkte beschränken: wer, wo, wann und wie. Sie fragten nie nach dem Warum. Sie taten das, worin sie gut waren, und verschwanden wieder, zum nächsten Flughafen, zum nächsten Grenzort. Vor wenigen Tagen noch hatten sie sich in einem walisischen Kaff mit unaussprechlichem Namen aufgehalten. Danach waren sie in Cardiff an Bord eines russischen Containerschiffs gegangen, das sie an die Südwestküste Frankreichs brachte, nach Bordeaux, wo sie den nächsten Auftrag erledigt hatten. Anschließend hatten sie ihre feste Kontaktperson angerufen, die ihnen ein Auto mit belgischem Kennzeichen besorgte und ihnen einen Namen und eine Adresse in den Niederlanden nannte.
Gestern Abend hatte ihnen hier in Utrecht eine Frau an dem Resopaltisch gegenübergesessen und ihnen in fließendem Russisch Instruktionen erteilt. Sie hatten genauso desinteressiert dreingeblickt wie immer. Doch sie hatten aufmerksam zugehört und sämtliche Informationen gespeichert.
Der Müll, der weggeräumt werden sollte, wehrte sich. War schwer zu erwischen. Selten zu Hause, kein fester Tagesablauf. Sie hatten sich sofort auf den Weg gemacht und die ersten Vorsorgemaßnahmen getroffen. Sie warteten auf den richtigen Zeitpunkt zum Zuschlagen.
Sie schauten sich an. Einer von ihnen öffnete ein Köfferchen voller Apparaturen und einem kleinen Bildschirm, auf dem ein heller Punkt inmitten wirrer Linien aufleuchtete. Der Mann runzelte die Stirn und wandte sich an seinen Zwillingsbruder.
»On y va«, sagte er mit zynischem Unterton. »Machen wir uns auf den Weg.«
21
Er reckte sich und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf die grün aufleuchtenden Zeiger und Ziffern seiner Seiko. Er hatte vierzehn Stunden an einem Stück geschlafen. Im Apartment war es dunkel, draußen dagegen schien hell die Sonne. Die Strahlen fielen durch die Rolllädenritzen ins Schlafzimmer herein. Er wälzte sich aus dem Bett und ging ins Bad, um zu duschen und sich zu rasieren. Anschließend zog er saubere Kleidung an und verließ das Haus. Er fuhr in westlicher Richtung die Küstenstraße entlang. In Saint-Tropez parkte er den Landcruiser auf der linken Straßenseite, direkt vor einem Bekleidungsgeschäft, und ging in Richtung Markt. Auf halbem Wege überquerte er die Straße und bog in die Avenue Paul Roussel ein.
Das Internetcafé gab es noch. Zwei junge Männer mit Piercings nickten ihm zu. Ohne sie weiter zu beachten, setzte er sich an einen PC und rief als Erstes die Website von De Telegraaf auf, einer überregionalen Tageszeitung, die jede Sensation ausschlachtete. Gespannt wartete er, bis die Seite geladen war. Paul war keine Titelschlagzeile wert. Er suchte weiter auf der Site, fand aber überhaupt keinen Bericht über Paul Düring. Er versuchte es bei einer weiteren niederländischen Zeitung, dann bei einer dritten. Fehlanzeige. Die Suche in einer
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