Verr�ter wie wir
Schmatzen, mit dem der langsamer werdende Ball in den nassen Sand patschte, und daran, wie sich ihre Gedanken zwischendurch immer wiederzur Schlussphase des gestrigen Endspiels verirrten und sie sie in die Gegenwart zurückzwingen musste.
Und wie die Bälle selbst immer bedächtiger flogen, je länger sich das Spiel hinzog. Und wie Perry diese bedächtigen Bälle in seiner Zerstreutheit immer wieder zu früh annahm und sie entweder ins Aus schlug oder sie – welche Schmach! – schlichtweg verfehlte.
Und wie Bunny Popham sich irgendwann über ihre Schulter lehnte und fragte, ob sie mit ihm fliehen wolle, bevor der nächste Schauer losbrach, oder lieber ausharren, um mit dem Schiff unterzugehen.
Und wie sie seine Einladung zum Vorwand genommen hatte, sich in die Toilette zu flüchten und ihr Handy anzuschalten, falls Natascha ihrer letzten Nachricht rein zufällig doch eine weitere hatte folgen lassen. Hatte sie nicht, was bedeutete, dass Gail genauso ratlos wie heute Morgen um neun vor den ominösen Worten saß, die sie schon jetzt, beim zweiten Lesen, auswendig kannte:
DIES HAUS IST UNERTRÄGLICH TAMARA NUR BEI GOTT KATJA UND IRINA TRAGISCH MEINE BRÜDER SPIELEN IMMERZU FUSSBALL WIR WISSEN AUF UNS WARTET EIN SCHLIMMES SCHICKSAL ICH KANN MEINEM VATER NIEMALS MEHR IN SEIN GESICHT SCHAUEN NATASCHA
Anruftaste gedrückt, ins Leere gelauscht, Handy ausgeschaltet.
* * *
Und die Gräben wusste sie noch, die sich nach der zweiten Regenunterbrechung – oder war es die dritte? – in dem aufgeweichten roten Sand aufgetan hatten, der offenbar keinen einzigen Tropfen mehr aufnehmen konnte, woraufhin ein Herr vom Club auf der Bildfläche erschien und EmilioDell’Oro Vorhaltungen machte, unter Hinweisen auf den Zustand des Platzes und mit viel waagrechtem Händewedeln, das so viel hieß wie »Schluss jetzt«.
Doch Emilio Dell’Oro musste über ungeheure Überzeugungskräfte verfügen, denn er nahm den Herrn vertraulich beim Arm und führte ihn unter eine Buche, und am Ende des Gesprächs dackelte der Herr zum Clubhaus zurück wie ein abgekanzelter Schulbub.
Und inmitten dieser diffusen Beobachtungen und Erinnerungen schaltete sich immer wieder die Anwältin in Gail ein, mit ihrer ständigen Sorge um das dünne Eis der Plausibilität – so dünn, dass es ihr schon von Beginn an zum Brechen verurteilt schien, was freilich nicht zwingend das Ende aller Dinge darstellen musste, solange sie nur irgendwie zu Natascha und den Mädchen gelangte.
Und während ihr all dies noch durch den Kopf geht, siehe da: Dima und Perry haben ein Einsehen und reichen sich übers Netz hinweg die Hand – kein Händedruck unter versöhnten Gegnern, empfindet sie, sondern der zweier Komplizen bei einem so himmelschreienden Betrug, dass das zerrupfte Häuflein Getreuer, das noch auf der Tribüne ausharrt, eher buhen sollte als klatschen.
Und mitten in dem ganzen Wirrwarr – denn der Tag hält Ungereimtheiten ohne Ende auf Lager – baut sich vor ihr der moppelige Russe auf, der ihr schon die ganze Zeit nachschleicht, und eröffnet ihr, dass er sie ficken will. In diesen Worten: »Ich will ficken mit dir«, und dann steht er da und wartet auf Antwort – ein bierernster Yuppie, Anfang dreißig, mit pickliger Haut, blutunterlaufenen Augen und einem leeren Wodkaglas in der Hand. Erst dachte sie, sie hätte sich verhört. In ihrem Kopf herrschte kaum weniger Tumult als draußen. Sie bat ihn allen Ernstes, seine Worte zu wiederholen. Doch da hatte ihn der Schneid schon wieder verlassen, und er beschränkte sich darauf, ihr in fünf Metern Abstand zu folgen, weshalb sie sich unter dieFittiche von Bunny Popham flüchtete, immer noch die beste unter den gebotenen Optionen.
Und so wiederum ergab es sich, dass sie ihm gestand, dass sie Kollegen waren, eine Eröffnung, die sie immer scheute, weil sie üblicherweise ein peinliches gegenseitiges Aushorchen nach sich zog. Aber Bunny Popham nahm es lediglich als Aufhänger für eine weitere seiner Anzüglichkeiten:
»Nein so was! « – die Augen zum Himmel verdreht –, »ich bin hin und weg. Wenn Sie irgendwann mal wen brauchen, der Ihre Akte durchsieht …«
Er wollte wissen, für welche Kanzlei sie arbeitete, also sagte sie es ihm, was ja nur normal war. Wie sonst hätte sie reagieren sollen?
Sie dachte sehr viel übers Packen nach. Auch daran erinnerte sie sich. Ob sie Perrys neue Sporttasche für die Schmutzwäsche hernehmen konnten, zum Beispiel, und ähnlich brisante Fragen rund um die Abreise
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