Verr�ter wie wir
schallende Ohrfeige, dass der Bub eine halbe Drehung auf der Bank macht, bis er sich mit den Beinen abfangen kann. Auf die erste Ohrfeige folgt eine nicht minder laute zweite, mit derselben Hand, aber für den anderen Sohn, so dass Gail sich an ihren gesellschaftlich aufstrebenden älteren Bruder erinnert fühlt, wenn der mit seinen reichen Freunden auf Fasanenjagd geht (ein Zeitvertreib, den Gail verabscheut) und, wie er es nennt, einen Doppeltreffer landet: ein toter Fasan pro Gewehrlauf.
»Und sie haben nicht mal den Kopf weggedreht, das war das Verrückte. Sie saßen einfach da und haben es eingesteckt«, sagte Perry, der Lehrerssohn.
Aber das Seltsamste, warf Gail ein, war doch, wie friedlich das Gespräch danach weiterging:
»Ihr wollt Tennisstunde bei Mark nachher? Oder lieber heim, dass eure Mutter euch Religion gibt?«
»Stunde, bitte, Papa«, sagt einer von den Jungen.
»Dann kein Rumschreien mehr, sonst gibt’s heut Abend kein Kobefleisch. Ihr wollt Kobefleisch heute Abend?«
»Klar, Papa.«
»Du,Viktor?«
»Klar, Papa.«
»Wenn ihr klatschen wollt, klatscht dem Professor hier, nicht eurem dämlichen alten Vater. Kommt her.«
Und jeder der beiden wird von ihm ungestüm ans Herz gedrückt, bevor das Match ohne weiteren Zwischenfall seinem unausweichlichen Ende zugeht.
* * *
Dima begrüßt seine Niederlage mit einem Überschwang, der schon fast peinlich ist. Er verliert nicht nur großmütig, sondern mit Tränen der Bewunderung und der Dankbarkeit. Erst muss er Perry für die dreifache russische Umarmung an seine breite Brust ziehen – eine hürnene Brust, schwört Perry. Die Tränen strömen ihm derweil über die Wangen und von da Perrys Hals hinab.
»Sie sind echter Engländer, Fairplay und alles, hören Sie, Professor? Sie sind gottverdammter englischer Gentleman wie in Büchern. Ich lieb Sie, hören Sie? Gail, Sie auch.« Bei Gail fällt die Umarmung noch einmal andächtiger aus – und vorsichtiger, wofür sie dankbar ist. »Sie haben Auge auf diesen Blödmann, hören Sie? Tennis kann er null, aber ich sag Ihnen, er ist ein gottverdammter Gentleman. Er ist Professor für Fairplay , hören Sie?« – eine Formel, die er wiederholt, als hätte er sie erfunden.
Worauf er sich mit Schwung wegdreht und barsch in ein Handy raunzt, das der milchgesichtige Leibwächter ihm hinhält.
* * *
Die Zuschauer ziehen langsam ab. Die kleinen Mädchen wollen von Gail gedrückt werden. Gail lässt sich nicht lange bitten. Einer von Dimas Söhnen näselt ein sehr amerikanisches »Cool game, man«, als er auf dem Weg zu seiner Stunde an Perry vorbeistiefelt, seine Backe noch rot von der Ohrfeige. Die schöne Natascha reiht sich in die Prozession ein, ihr dickes Buch in der Hand. Ihr Daumen klemmt an der Stelle, wo man sie aus ihrer Lektüre gerissen hat. Die Nachhut bildet Tamara an Dimas Arm, ihr Bischofskreuz glitzernd im Schein der gestiegenen Sonne. Jetzt, nach dem Match, ist Dimas Humpeln ausgeprägter. Er geht hintübergelehnt, das Kinn vorgeschoben, die Schultern trutzig gereckt vor dem Feind. Die Leibwächter eskortieren die Gruppe den gewundenen Treppenpfad hinunter. Drei Minivans mit getönten Scheiben warten hinter dem Hotel, um sie heimzubringen. Mark der Pro geht als Letzter.
»Klasse Match, Sir!« – er klopft Perry auf die Schulter. »Exzellente Court-Performance. Nur eine Spur holprig bei der Rückhand, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Vielleicht sollten wir daran noch ein bisschen feilen?«
Seite an Seite beobachten Gail und Perry schweigend, wie der Konvoi die zerfurchte Uferstraße entlangrumpelt und zwischen den Mahagonibäumen verschwindet, die das Haus mit dem Namen Three Chimneys vor zudringlichen Blicken abschirmen.
* * *
Luke schaut von seinen Notizen auf. Wie auf ein Stichwort hebt auch Yvonne den Kopf. Beide lächeln. Gail versucht Lukes Blick auszuweichen, aber Luke sieht ihr mitten ins Gesicht, sie hat keine Chance.
»Also, Gail«, sagt er zackig. »Jetzt wieder zu Ihnen, wenn’s recht ist. Mark war eine Nervensäge. Trotzdem scheint er informationstechnisch ja eine Goldgrube gewesen zu sein. Was konnten Sie von ihm denn noch über Familie Dima erfahren?« – seine zarten Hände machen eineruckende Bewegung, als wollte er sein Pferd antreiben.
Gail späht zu Perry hinüber, wozu, weiß sie selbst nicht recht. Perry erwidert den Blick nicht.
»Er war einfach dermaßen schleimig «, beschwert sie sich, indem sie ihren Unmut über Luke auf Mark abwälzt, und
Weitere Kostenlose Bücher