Verr�ter wie wir
Lächeln, gar nichts. Nicht mal ansatzweise.«
»Und waren die Mädchen Ihrer Meinung nach von der Dame, die auf sie aufpasste, zu Ihnen hochgeschickt worden?«
»Sie kamen rein aus eigenem Antrieb. Meiner Meinung nach.«
»Sind Sie sich da sicher?« Je hartnäckiger sie nachfragte, desto mehr hörte man ihr die Schottin an.
»Ich hatte ja alles im Blickfeld. Mark hatte eine plumpe Anspielung zu viel gemacht, und ich war in die oberste Reihehochgestampft, um so weit von ihm wegzugelangen wie nur möglich. Da oben saß niemand außer mir.«
»Und wo saßen unsere Mädelchen zu diesem Zeitpunkt? Direkt unter Ihnen? Seitlich von Ihnen? Wo genau?«
Gail atmete tief durch, um ihre Ungeduld zu bezähmen, dann sagte sie bedächtig:
» Unsere Mädelchen saßen in der zweiten Reihe neben Elspeth. Die Größere drehte sich um und sah zu mir hoch, dann sagte sie etwas zu Elspeth. Und nein, ich konnte nicht hören, was sie sagte. Elspeth wandte den Kopf, sah zu mir her und nickte. Die beiden Mädchen berieten miteinander, worauf sie aufstanden und die Stufen heraufkamen. Langsam. Gemessen.«
»Machen Sie sie nicht bockig«, warnte Perry.
* * *
Die Zeugin versucht auszuweichen. So klingt es zumindest für Gails Anwaltsohr, und für Yvonnes Ohr zweifellos auch. Ja, die Mädchen kamen zu ihr herauf, sagt sie. Die Größere machte einen Knicks, den sie eigentlich nur in der Ballettschule gelernt haben konnte, und fragte tiefernst auf Englisch, mit nur ganz schwachem ausländischem Akzent: Can we sit with you, please, Miss? Also lachte Gail und sagte: You can indeed, Miss , und die beiden nahmen sie in die Mitte, immer noch ohne ein Lächeln.
»Ich habe die Große nach ihrem Namen gefragt. Flüsternd, weil alle so still waren. Sie sagte: ›Katja‹, und ich fragte: ›Und wie heißt deine Schwester?‹, und sie sagte: ›Irina.‹ Und Irina drehte sich um und starrte mich an, als ob ich … ja, als ob ich ihr zu nahe getreten wäre – ich konnte nicht begreifen, wo die Feindseligkeit herkam. Ich sagte: ›Sind euer Papa und eure Mama auch hier?‹ Zu ihnen beiden. Katja schüttelte heftig den Kopf. Irina reagierte gar nicht. Eine Zeitlang saßen wir stumm da. Eine lange Zeit,für Kinder. Und ich dachte: Vielleicht hat man ihnen eingetrichtert, dass man beim Tennis nicht sprechen darf. Oder sie dürfen nicht mit Fremden reden. Oder vielleicht können sie nicht mehr Englisch, oder sie sind autistisch oder sonst wie behindert.«
Sie hält inne, hofft auf eine Ermutigung oder eine Frage, aber über den Tisch schauen sie nur zwei Augenpaare erwartungsvoll an, und Perry neben ihr hat den Hinterkopf an die Ziegelwand gelehnt, deren Geruch ihr die Trinkgewohnheiten ihres verstorbenen Vaters zurückbringt. Innerlich schnauft sie ein letztes Mal tief durch und wagt dann den Sprung:
»Das Spiel war kurz unterbrochen. Also versuchte ich es noch einmal: Wo geht ihr in die Schule, Katja? Katja schüttelt den Kopf, Irina schüttelt den Kopf. Keine Schule? Oder nur im Moment nicht? Nur im Moment nicht, wie es scheint. Bis jetzt sind sie auf die englische Internationale Schule in Rom gegangen, aber auf die gehen sie nicht mehr. Keine Begründung, wobei ich auch nach keiner gefragt habe. Ich wollte nicht aufdringlich sein, aber ich hatte ein ungutes Gefühl, das ich nicht näher benennen konnte. Dann wohnt ihr also in Rom? Nein, jetzt nicht mehr. Wieder Katja. Und in Rom habt ihr so gut Englisch gelernt? Ja. In der Internationalen Schule konnten sie zwischen Italienisch und Englisch wählen. Englisch war besser. Ich zeige auf Dimas Söhne. Sind das eure Brüder? Wieder Kopfschütteln. Vettern? Ja, so eine Art. Nur so eine Art? Ja. Gehen sie auch auf die Internationale Schule? Ja, aber in der Schweiz, nicht in Rom. Und das schöne Mädchen, das nur Augen für ihr Buch hat, sage ich, ist das eure Kusine? Antwort von Katja, ihr abgerungen wie ein Geständnis: Natascha ist ihre Kusine, aber auch nur so eine Art. Und immer noch von keiner der beiden ein Lächeln. Aber Katja streichelt meinen seidenen Überwurf. Als hätte sie noch nie Seide angefasst.«
Gailholt Atem. Das ist noch gar nichts, sagt sie bei sich. Das ist nur der Appetithappen. Wartet bis zum nächsten Tag für die Fünf-Gänge-Horrorgeschichte. Wartet, bis die späteren Erkenntnisse ins Spiel kommen.
»Und als sie die Seide lange genug gestreichelt hat, lehnt sie den Kopf an meinen Arm und lässt ihn da liegen und macht die Augen zu. Und das war’s mit unserer Kommunikation
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