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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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ließ sich ansonsten hin und her werfen. Dennoch stockte Perry der Atem, als der geisterhafte schwarze Schatten der Eigernordwand immer näher rückte, und als sie an dem kleinen Bergbahnhof Alpiglen vorbeiruckelten, starrte er andächtig zur Weißen Spinne empor, nahm mit den Augen Maß an ihr und schwor sich, quasi als letzten Alleingang vor der Hochzeit, den Aufstieg zu versuchen.
    Kurz vor der Passhöhe schaltete Ollie auch das Standlicht aus, und wie Diebe stahlen sie sich an dem wuchtigen Doppelumriss des großen Hotels vorbei. Unter ihnen kam als blasser Schimmer Grindelwald in Sicht. Der Weg führtenun bergab, tauchte in den Wald ein, und durch die Bäume blinkten die Lichter von Brandegg.
    »Ab hier ist die Fahrbahn geteert«, rief Luke über die Schulter, für den Fall, dass die holperige Fahrt Dima nicht bekommen war.
    Aber Dima hörte ihn entweder nicht, oder er scherte sich nicht um ihn. Den Kopf in den Nacken geworfen, saß er da, eine Hand an die Brust gedrückt, während der andere Arm auf der Lehne hinter Perrys Schultern ruhte.
    Zwei Männer versperren die Straße vor ihnen und schwenken eine Taschenlampe.
    * * *
    Der ohne die Taschenlampe reckt gebieterisch die behandschuhte Hand hoch. Er ist für die Großstadt gekleidet – langer Mantel und Schal – und trotz seiner Halbglatze hutlos. Der Mann mit der Lampe trägt Polizeiuniform und eine Pelerine. Ollie ruft fröhlich zu ihnen hinaus, bevor er überhaupt zum Stehen gekommen ist.
    »Na, was gibt’s?«, erkundigt er sich in einem französisch-schweizerischen Singsang, den Perry aus seinem Mund noch nie gehört hat. »Hat’s einen vom Eiger runtergehauen? Wir haben nicht einmal ein Karnickel gesehen.«
    Dima ist ein reicher Türke, hat Luke sie instruiert. Er ist im Parkhotel abgestiegen, und seine Frau in Istanbul ist schwer erkrankt. Er hat sein Auto in Grindelwald stehen, und wir, seine englischen Mitgäste, spielen die guten Samariter. Einer Überprüfung wird es nicht standhalten, aber einmal kommen wir damit vielleicht durch.
    »Warum nimmt der reiche Türke nicht die Zahnradbahn bis Lauterbrunnen und dann ein Taxi nach Grindelwald?«, hat Perry wissen wollen.
    »Weil er Argumenten unzugänglich ist«, so Lukes Antwort. »Indem er mit dem Jeep querfeldein fährt, hofft er sicheine Stunde zu sparen. Um Mitternacht geht ein Flieger von Kloten nach Ankara.«
    »Wirklich?«
    Der Polizist richtet seine Taschenlampe auf ein lilafarbenes Dreieck an der Windschutzscheibe des Jeeps. Darauf steht ein großes G. Der Mann in den Stadtkleidern drückt sich hinter ihm herum, in der Schwärze hinter dem grellen Lichtkegel. Aber Perry hat das deutliche Gefühl, dass er den naseweisen Fahrer und seine drei Mitfahrer unter die Lupe nimmt.
    »Wem gehört der Wagen?«, fragt der Polizist, ohne seine Musterung des lila Dreiecks zu unterbrechen.
    »Arni Steuri. Klempner. Freund von mir. Sagen Sie bloß, Sie kennen Arni Steuri aus Grindelwald nicht? Gleich an der Hauptstraße, neben dem Elektrogeschäft.«
    »Kommen Sie jetzt von Scheidegg herunter?«, bohrt der Polizist nach.
    »Nein, Wengen.«
    »Sie sind von Wengen nach Scheidegg hinaufgefahren?«
    »Was dachten Sie denn? Geflogen?«
    »Wenn Sie von Wengen nach Scheidegg hinauf fahren, brauchen Sie noch eine Vignette, eine aus Lauterbrunnen. Die, die Sie da haben, gilt ausschließlich für die Strecke Scheidegg-Grindelwald.«
    »Und auf wessen Seite sind Sie ?«, sagt Ollie, der sich die Leutseligkeit nicht so schnell austreiben lässt.
    »Offen gestanden bin ich aus Mürren«, erwidert der Polizist stoisch.
    * * *
    Ein Schweigen tritt ein. Ollie beginnt eine Melodie zu summen, auch das etwas, was Perry bei ihm noch nie erlebt hat. Er summt, und dabei kramt er, während der Polizist ihm mit seiner Taschenlampe leuchtet, in dem Wust vonPapieren in der Fahrertür herum. Schweiß strömt Perry den Rücken hinab, obwohl er regungslos neben Dima sitzt. Kein schwieriger Gipfel, kein Überhang hat ihn je ins Schwitzen gebracht, ohne dass er sich bewegt. Ollie sucht weiter, immer noch summend, aber es klingt nicht mehr so frech wie zuvor. Ich bin Gast im Parkhotel, sagt Perry sich vor. Luke und ich, wir beide. Wir spielen guter Samariter für einen verstörten Türken, der keine Fremdsprache spricht und dessen Frau im Sterben liegt. Das eine Mal kommen wir damit vielleicht durch.
    Der Mann in Zivil ist näher getreten und stützt sich am Jeep ab. Ollies Summen verliert immer mehr an Überzeugungskraft. Schließlich

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