Verr�ter wie wir
Messe drin halten.‹ Mein Freund hört nicht zu. ›Dima, hörst du, schau, dass du rausgehst aus Mumbai. Vielleicht in ein Monat, du gehst wieder rein, machst ein paar Millionen. Aber erst gehst du gottverdammt raus aus diesen Hotels.‹«
Dima schiebt sich die Faust übers Gesicht, boxt den Schweiß weg. Jesusmaria , flüstert er vor sich hin und starrt hilfesuchendin dem winzigen Kabuff umher. »Sagst du das dein englische Apparatschicks, Professor!«
Perry will tun, was er kann.
» 30 . Oktober 2008 , wo dieses Pakistani-Arschloch mich aufweckt, schlaf ich nicht gut, okay?«
Okay.
»Nächsten Morgen, 31 ., ich ruf mein Schweizer Banken an. ›Geht verdammt noch mal raus aus Mumbai.‹ Dienstleistungen, Holz, Tee, krieg ich vielleicht dreißig Prozent. Hotels siebzig. Zwei Wochen später, ich bin in Rom. Ruft Tamara mich an. ›Mach Fernseher an!‹ Und was seh ich? Diese verrückten Dreckspakistanis schießen Mumbai kurz und klein, indische Börse macht dicht. Nächsten Tag sind die indischen Hotels sechzehn Prozent runter, bei 40 Rupien, und fallen. Im März drauf sie sind bei 31 . Ruft Khalil mich an. ›Okay, mein Freund, jetzt steigst du voll wieder ein. Nicht vergessen, Tipp ist von mir.‹ Also steig ich voll wieder ein.« Der Schweiß strömt ihm über den blanken Schädel, übers Gesicht. »Ende vom Jahr, indische Hotels sind bei 100 Rupien. Hab ich zwanzig Millionen Profit gemacht, zack. Die Juden sind tot, die Geiseln sind tot, und ich bin verdammtes Genie. Sagst du das dein englische Spione, Professor. Jesusmaria.«
Das schweißnasse Gesicht eine Maske des Selbstekels. Die morschen Schalbretter knarzen im Meereswind. Dima hat sich an den Punkt geredet, an dem es kein Zurück mehr gibt. Perry ist gemustert und geprüft und für gut befunden worden.
* * *
Beim Händewaschen oben in der liebevoll dekorierten kleinen Gästetoilette leuchtet ihm aus den Zügen im Spiegel ein Eifer entgegen, den Perry von sich so nicht kennt. Er eilt die plüschigen Stufen wieder hinunter.
»Nocheine Träne?«, fragt Hector mit einer lässigen Handbewegung zum Getränketablett hin. »Luke, seien Sie so gut, kochen Sie uns noch einen Kaffee dazu!«
7
Oben auf der Straße fegt ein Krankenwagen vorbei, und im Jaulen seiner Sirene scheint der Schmerz der ganzen Welt mitzugellen.
In dem windgepeitschten Erker mit Blick über die Bucht krempelt Dima den Satinärmel an seinem linken Arm hoch. Im wechselhaften Mondschein – denn die Sonne ist mittlerweile verschwunden – kann Perry eine barbusige Madonna ausmachen, umringt von kurvenreichen Engeln in aufreizenden Posen. Die Tätowierung reicht von Dimas wuchtiger Schulter bis hinab zu dem Goldarmband seiner brillantbesetzten Rolex.
»Willst du wissen, wer das gemacht hat, Professor?«, flüstert er, heiser vor Ergriffenheit. »Sechs verdammte Monate lang, eine Stunde jeden Tag?«
Ja, Perry brennt darauf zu wissen, wer Dimas kolossalem Arm über ein halbes Jahr hinweg eine halbnackte Madonna mitsamt Frauenchören auftätowiert hat. Ebenso, wie er gerne wüsste, was die Heilige Jungfrau mit Dimas Forderung nach Nataschas Aufnahme an der Roedean School oder nach unbefristetem Bleiberecht für seine gesamte Familie im Austausch für hochwichtige Informationen zu tun hat, aber der Englischdozent in ihm erkennt auch, dass Dima, der Geschichtenerzähler, seinen eigenen Spannungsbogen braucht und dass seine Handlungsstränge Umwege nehmen müssen.
»Hatmeine Rufina gemacht. Sie war sek , so wie ich. Lagernutte, krank mit Tuberkulose, eine Stunde jeden Tag. Wie sie fertig war damit, sie ist gestorben. Jesusmaria, hm? Jesusmaria.«
Respektvolles Schweigen, während beide Männer Rufinas Meisterwerk betrachten.
»Hast du gehört von Kolyma, Professor?«, fragt Dima, immer noch mit diesem Rest Heiserkeit in der Stimme. »Kennst du, ja?«
Ja, Perry hat von Kolyma gehört. Er hat seinen Solschenizyn gelesen. Er hat seinen Schalamow gelesen. Er weiß, dass die Kolyma ein Fluss nördlich des Polarkreises ist, der den brutalsten Lagern des Gulag-Archipels vor wie auch nach Stalin den Namen gegeben hat. Und auch, was Sek bedeutet, weiß er: die Gefangenen Russlands, Millionen und Abermillionen davon.
»Mit vierzehn ich war gottverdammter Sek in Kolyma. Kriminell gefangen, nicht politisch. Politisch ist Dreck. Kriminell ist rein . Fünfzehn Jahre.«
»Fünfzehn Jahre in Kolyma?«
»Natürlich. Hab meine fünfzehn gesessen, Professor.«
Das Belegte ist aus Dimas Stimme
Weitere Kostenlose Bücher