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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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vollkommen.
    Doch mit der Zeit tat sich Hector zunehmend durch Quertreibertum hervor. Eine neue, machtgierigere Generation von Geheimdienstlern verlangte nach mehr Mitsprache in Westminster. In einem geheimen Aufruf an die höheren Chargen, der sich als nicht ganz so geheim wie gedacht herausstellte, geißelte Hector die Einfaltspinsel aus der Chefetage, die bereit seien, »die geheiligte Wahrheitspflicht des Geheimdiensts der politischen Einflussnahme zu opfern«.
    Der Wirbel hatte sich noch kaum gelegt, als Hector als Leiter einer stürmischen Sitzung, die eine Einsatzpanne zum Gegenstand hatte, die Übeltäter gegen die Wichtigtuer vom Planungsstab in Schutz nahm: Mit dem Kopf im Ami-Arsch, so sagte er, sehe sich’s nun mal nicht gut.
    Irgendwann im Jahr 2003 , wen wundert’s, verschwand er dann. Keine Abschiedsfeiern, kein Nachruf im monatlichenRundbrief, keine obskure Medaille, keine Nachsendeadresse. Erst verschwand sein Geheimkürzel von Einsatzbefehlen. Als Nächstes verschwand sein Name aus den Verteilern. Dann verschwand er aus dem Intranet und schließlich aus dem telefonischen Geheimnummernverzeichnis, was einer Todesmeldung gleichkam.
    Und den Platz des Mannes selbst nahm das unvermeidliche Gemunkel ein:
    Er habe sich in der Irak-Frage mit der obersten Führung angelegt, hieß es, und sei dafür gefeuert worden. Falsch, wollten andere wissen. Es sei um die Bombardierung Afghanistans gegangen, und er sei nicht gefeuert worden, sondern zurückgetreten.
    In einem wüsten Streit sollte er dem Kabinettssekretär ins Gesicht gesagt haben, dass er ein »verlogenes Arschloch« sei. Auch wieder falsch, behauptete eine andere Fraktion. Es sei der Generalstaatsanwalt gewesen, und er habe ihn als »rückgratlosen Arschkriecher« bezeichnet.
    Andere mit etwas mehr Faktenwissen führten die persönliche Tragödie an, die Hector kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst ereilt hatte, als Adrian, sein missratener einziger Sohn, wieder einmal im Drogenrausch ein Auto geklaut und sich damit überschlagen hatte. Wie durch ein Wunder war das einzige Opfer Adrian selbst gewesen, der sich Verletzungen an Gesicht und Brustkorb zugezogen hatte. Aber eine junge Mutter und ihr Baby waren nur um Haaresbreite verschont geblieben, und ZUGEDRÖHNT: SOHN VON SPITZENBEAMTEM BAUT HORRORUNFALL taugte schlecht zum Aushängeschild. Mehrere kleinere Delikte kamen erschwerend hinzu. Der von dem Skandal gebrochene Hector, so das Gerücht, habe dem Geheimdienst den Rücken gekehrt, um seinem Sohn während seiner Haft eine Stütze zu sein.
    Aber während für diese Version zumindest sprach, dass sie durch konkrete Tatsachen erhärtet wurde, konnte sie unmöglichdie ganze Wahrheit sein, denn einige Monate nach seinem Verschwinden starrte plötzlich Hectors eigenes Gesicht von den Titelseiten der Gazetten, nicht als der geknickte Vater von Adrian, sondern als der einsame Kämpfer, der alle Kräfte einsetzte, um sein alteingesessenes Familienunternehmen aus den Fängen der FINANZGEIER zu erretten, wie er sie titulierte, wodurch er sich aufsehenerregende Schlagzeilen sicherte.
    Wochenlang durften sich die Hector-Fans an aufwühlenden Geschichten über diese alteingesessene, angenehm wohlhabende Getreide-Importfirma in den Docklands ergötzen, deren fünfundsechzigköpfiger Belegschaft (durchweg langgedient, durchweg Anteilseigner) »über Nacht der Lebensfaden gekappt« worden war – Zitat Hector, der seinerseits über Nacht sein Talent für die Stimmungsmache entdeckt hatte: »Die Heuschrecken und Halsabschneider lauern vor Englands Toren, und fünfundsechzig unserer tüchtigsten Männer und Frauen müssen auf den Müll«, teilte er der Öffentlichkeit mit. Und binnen Monatsfrist verkündeten die Schlagzeilen: MEREDITH RUPFT FINANZGEIER – FAMILIENUNTERNEHMEN TRIUMPHIERT GEGEN FEINDLICHE ÜBERNAHME .
    Und ein Jahr später saß Hector wieder in seinem alten Büro im vierten Stock und brachte ein bisschen die Kacke zum Dampfen, wie er das nannte.
    * * *
    Auf welche Weise Hector den Geheimdienst um den Finger gewickelt hatte oder ob der Geheimdienst auf Knien zu ihm gekommen war und worin überhaupt die Funktion eines sogenannten Direktors der Abteilung Sonderprojekte bestand: alles Fragen, die Luke zwangsläufig im Kopf herumgingen, als er ihm im Schneckentempo die prunkvolle Treppe hinauffolgte, vorbei an den abblätternden Porträtsclubeigener Helden aus Empire-Zeiten in eine muffige Bibliothek voller Bücher, die kein Mensch las. Und sie

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