Verr�ter wie wir
sich das Kuvert in eine Innentasche seines abgewetzten Sportsakkos stopfte. »Schließlich wissen sie, dass ich recht habe, auch wenn es ihnen lieber wäre, ich hätte nicht recht – und wenn ich recht habe, wissen sie nicht, was sie tun sollen. Ins Zelt darf ich nicht pissen, vors Zelt auch nicht. Mich einsperren und knebeln, das wäre die einzige Lösung, aber das hab ich nicht gern. Hatte ich noch nie. Sie offenbar auch nicht, was man so hört … warum haben da drüben eigentlich keine Tiger Sie gefressen, oder was die sonst so für Viehzeug haben?«
»Hauptsächlich Insekten.«
»Und Blutegel?«
»Auch.«
»Stehen Sie nicht rum. Setzen Sie sich irgendwohin.«
Luke nahm gehorsam Platz. Aber Hector blieb stehen, mit hängenden Schultern, die Hände tief in die Taschen gebohrt, und starrte finster in den kalten Kamin mit seinen alten Messingzangen und Schürhaken und der rissigen Lederumrandung. Und für Luke hatte die Atmosphäre in der Bibliothek mit einem Mal etwas Lastendes, ja Bedrohliches. Und vielleicht ging es Hector genauso, denn seine Schnodderigkeit verließ ihn, und sein hageres, kränkliches Gesicht wurde so grimmig wie das eines Leichenbestatters.
»Ichfrag Sie jetzt mal was«, verkündete er unvermittelt, mehr an den Kamin gewandt als an Luke.
»Nur zu.«
»Was war das Übelste, Grauenhafteste, was Sie in Ihrem ganzen Leben gesehen haben? Außer der Uzi, meine ich, an der Ihr Drogenboss Sie riechen lassen hat? Kinder im Kongo mit abgehackten Händen und Blähbäuchen, rasend vor Hunger, aber zu müde zum Weinen? Kastrierte Väter mit dem Schwanz im Mund und den Augenhöhlen voller Fliegen? Frauen mit Bajonetten in der Möse?«
Luke hatte nie im Kongo gedient, darum musste er annehmen, dass Hector seine eigene Erfahrung beschrieb.
»Wir hatten unsere Entsprechungen«, sagte er.
»Wie zum Beispiel?«
»Die kolumbianische Regierung, die’s krachen lässt. Mit tatkräftiger Unterstützung durch die Amerikaner, versteht sich. Ganze Dörfer abgefackelt. Die Bewohner x-fach vergewaltigt, gefoltert, in Stücke gehackt. Alle tot bis auf den einen Überlebenden, der erzählt, wie alles kam.«
»Ja. Gut. Das heißt, wir haben beide ein bisschen was von der Welt gesehen«, konzedierte Hector. »Wir können Tacheles reden.«
»Ja.«
»Und das schmutzige Geld, in dem sie waten, die Profiteure des Leids, das haben wir auch gesehen. Allein in Kolumbien Milliarden . Sie waren ja dort. Weiß Gott, was Ihr Mann wert war.« Er wartete die Antwort nicht ab. »Im Kongo: Milliarden . In Afghanistan: Milliarden . Ein Achtel der gottverfluchten Weltwirtschaft: schwarz wie Schuhwichse. Alle beide wissen wir das.«
»Ja. Das stimmt.«
»Blutgeld. Alles Blutgeld.«
»Ja.«
»Völlig egal, wo. Ob in einem Schuhkarton unterm Bett eines somalischen Warlords oder in einer Bank in der LondonerCity neben dem Regal mit dem Portwein. Es wechselt nicht die Farbe. Es bleibt trotzdem Blutgeld.«
»Ja.«
»Da hilft kein Glamour, kein Schönfärben. Es ist der Lohn für Erpressung, Drogenhandel, Mord, Einschüchterung, Massenvergewaltigung, Versklavung. Blutgeld eben. Unterbrechen Sie mich, wenn ich zu dick auftrage.«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Sie stoppen es nur auf vier Arten. Erstens, Sie greifen sich die Typen, die damit reich werden. Setzen sie fest, bringen sie um, lassen sie sonst wie hochgehen. Wenn Sie können. Zweitens, Sie greifen sich die Ware. Fangen sie ab, verhindern, dass sie auf die Straße oder den Marktplatz kommt. Wenn Sie können. Dritte Methode: Sie greifen sich den Profit, Sie drängen die Schweinehunde aus dem Geschäft.«
Eine beunruhigende Pause, während der Hector über Belange weit oberhalb von Lukes Gehaltsstufe nachzusinnen schien. Dachte er an die Dealer, die seinen Sohn erst an die Nadel und dann in den Knast gebracht hatten? Oder an die Finanzgeier, die drauf und dran gewesen waren, seiner Familienfirma das Wasser abzugraben und fünfundsechzig unserer tüchtigsten Männer und Frauen auf den Müll zu verfrachten?
»Und dann gibt es die vierte Art«, fuhr Hector fort. »Das ist die ganz miese. Die sicherste, leichteste, bequemste, gebräuchlichste, die am wenigsten Umstände macht. Treten Sie die Leute, die hungern, die vergewaltigt und gefoltert werden und an ihrer Sucht sterben, einfach ins Kreuz. Wer fragt schon nach dem Blutzoll? Geld stinkt nicht, solange es nur genug davon gibt und es unsres ist. Hauptsache, wir denken in großen Zusammenhängen. Fangen wir die kleinen
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