Verr�ter wie wir
Parenthese heruntergeleiert) –, sei eine Vertretungsstelle in der Verwaltung, bis die eigentliche Inhaberin aus dem Mutterschutz zurückkam.
Inder Zwischenzeit könnte es vielleicht schlau sein, wenn er sich mal mit den Leuten von der Wiedereingliederungsabteilung unterhielt, einfach um zu sehen, was sich so bot in der großen Welt draußen – wo es, trotz des Unsinns, den die Zeitungen immer wieder verbreiteten, keineswegs nur desolat zugehe. Die Terrorangst, und dazu die Gefahr ziviler Unruhen, das sei ein echter Segen für die privaten Sicherheitsdienste. Ein paar ihrer allerbesten Ehemaligen verdienten jetzt doppelt so viel wie früher beim Geheimdienst und fühlten sich pudelwohl. Mit einer Einsatzerfahrung wie der seinen – und nun, da in seinem Privatleben ja wohl wieder alles paletti sei, nicht dass das für sie irgendeine Rolle spiele – habe sie keinerlei Zweifel daran, dass sich jeder Arbeitgeber nach einem Mitarbeiter wie Luke die Finger lecken würde.
»Sie brauchen aber keine posttraumatische Betreuung oder etwas in der Art?«, fragte sie noch besorgt, ehe er ging.
Von dir ganz bestimmt nicht, dachte Luke. Und in meinem Privatleben ist gar nichts paletti, dass du’s nur weißt.
* * *
Die Verwaltungsabteilung fristete ihr trübes Dasein im Erdgeschoss, und Lukes Schreibtisch stand so dicht an der Straße, wie es überhaupt nur möglich war, ohne dass Luke selbst auf der Straße saß. Nach drei Jahren in der Kidnapping-Hauptstadt der Welt fiel es ihm nicht leicht, sich mit dem Kilometergeld für daheim lebende Jungbeamte abzugeben, aber er bemühte sich. Umso größer seine Überraschung, als einen Monat nach Strafantritt das Telefon klingelte – schon das an sich eine Seltenheit – und Hector Meredith ihn mit sofortiger Wirkung zum Lunch in seinen anerkannt schäbigen Londoner Club zitierte.
» Heute ,Hector? Himmelherrgott.«
»Kommen Sie früh, und kein Wort zu irgendwem. Sagen Sie, Sie kriegen Ihre Tage, oder was weiß ich.«
»Was heißt früh?«
»Elf.«
»Elf? Zum Lunch? «
»Sind Sie nicht halb verhungert?«
Zeit und Ort erwiesen sich als weniger abwegig, als man hätte meinen können. Wochentags um elf röhren in einem abgehalfterten Club in der Pall Mall die Staubsauger, ausgebeutete Gastarbeiter decken unter leisem Singsang fürs Mittagessen ein, mehr passiert nicht. Das säulengeschmückte Foyer lag verlassen bis auf den hutzeligen Portier in seiner Loge und eine schwarze Putzfrau, die den Marmorboden wischte. Hector, der mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem reichgeschnitzten alten Sessel thronte, las in der Financial Times .
* * *
In einer Welt der Nomaden, unter denen Verschwiegenheit oberstes Gebot ist, sind gesicherte Erkenntnisse über gleich welchen Kollegen grundsätzlich Mangelware. Doch selbst nach diesen bescheidenen Maßstäben war der einstige Vizedirektor Westeuropa, dann Vizedirektor Russland, dann Vizedirektor Afrika & Südostasien und seit neuestem mysteriöserweise Direktor der Abteilung Sonderprojekte, ein wandelndes Rätsel oder, um mit einigen seiner Kollegen zu sprechen, eine Zumutung .
Vor fünfzehn Jahren hatten Luke und Hector zusammen einen dreimonatigen Intensivkurs für Russisch absolviert, bei einer ältlichen Prinzessin in deren efeuumrankter Villa im alten Hampstead, keine zehn Minuten von Lukes jetzigem Wohnsitz entfernt. Ihr tägliches Pensum fand seinen Abschluss jeweils in einem kathartischen Marsch durch denPark. Hector war schnell unterwegs in diesen Tagen, lauf- wie auch karrieretechnisch. Wenn er mit seinen langen Beinen ausschritt, hatte Luke es nicht leicht, mit ihm mitzuhalten. Seine Themen, die oft im wahrsten Wortsinn über Lukes Kopf hinweggingen und stets gespickt mit Kraftausdrücken daherkamen, reichten von den »beiden größten Bauernfängern aller Zeiten«, Karl Marx und Sigmund Freud, bis hin zu dem eklatanten Fehlen einer Art von britischem Patriotismus, die sich mit dem modernen Gewissen vereinbaren ließ – in der Regel gefolgt von einer Hector-typischen Hundertachtzig-Grad-Wendung und der Frage, was das überhaupt sei, Gewissen .
Seitdem hatten sich ihre Pfade kaum noch gekreuzt. Während Lukes Außendienst seinen vorhersehbaren Lauf nahm – Moskau, Prag, Amman, wieder Moskau, dazwischen Gastspiele in der Zentrale und schließlich Bogotá –, schien Hectors rasanter Aufstieg in den vierten Stock von einer göttlichen Macht vorherbestimmt, und seine Unnahbarkeit, soweit es Luke betraf, wurde
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