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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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Schreibtischstuhlszu hängen, wo sie bis heute hing wie der Geist seines anderen Ichs, wenn er an den Freitagnachmittagen kurz vorbeischaute, um ein bisschen mit den Kollegen zu flachsen, die er auf dem Korridor traf, oder die fiktiven Spesen der vergangenen Woche einzureichen, die er später gewissenhaft in die Haushaltskasse in Bloomsbury einzahlte.
    Und gleich am nächsten Morgen – er begann nachts gerade wieder schlafen zu können – trat er den ersten seiner Fußmärsche nach Bloomsbury an, gerade so wie heute, nur dass am Tag seiner Jungfernfahrt ein Wolkenbruch den anderen gejagt hatte, weshalb er seinen bodenlangen Gummimantel nebst Regenhut trug.
    * * *
    Erst war er die Straße abgegangen – kaum der Mühe wert in dieser Sintflut, aber manche Dienstgewohnheiten lassen sich nicht abschütteln, egal wie viel Schlaf man bekommt und wie stramm man marschiert –, einmal von Nord nach Süd, dann von einer Querstraße aus, die direkt gegenüber dem Zielhaus einmündete, der Hausnummer 9 .
    Die genauso hübsch war, wie von Hector versprochen, selbst im strömenden Regen: zweistöckig und schlicht, rote Londoner Ziegel, ein Reihenhäuschen aus dem späten achtzehnten Jahrhundert mit frisch geweißelten Stufen, die hinaufführten zu einer in Königsblau gestrichenen Haustür mit einem Fächerfenster darüber, zwei Schiebefenstern zu beiden Seiten und Souterrainfenstern rechts und links von der Treppe.
    Aber kein separater Kelleraufgang außen am Haus, stellte Luke pflichtschuldig fest, als er die Stufen hinaufstieg, aufschloss und drinnen auf der Fußmatte stehen blieb, erst um zu lauschen, dann um sich aus seiner triefenden Regenkleidung zu schälen und ein Paar trockene Slipper ausder Plastiktüte zu ziehen, die er unter den Gummischichten verstaut gehabt hatte.
    Die Diele üppig mit hochflorigem Grellrot ausgelegt: das Vermächtnis des kleinen Scheißers, dem Jenny gerade noch rechtzeitig auf die Schliche gekommen war. Ein alter Portierssessel in grasgrünem Lederdress. Ein antiker Spiegel, verschwenderisch nachvergoldet. Hector hatte es gut gemeint mit seiner geliebten Jenny, und nach seinem erfolgreichen Feldzug gegen die Finanzgeier konnte er es sich vermutlich auch leisten. Zwei Treppen führten nach oben, auch sie dick verplüscht. »Jemand zu Hause?«, rief er – und hörte nichts. Er stieß die Tür zum Wohnzimmer auf. Alter Kamin. David-Roberts-Lithographien, Sofa und Sessel in straff sitzenden Edelbezügen. In der Küche nur hochwertigstes Gerät, dazu ein auf alt getrimmter Kieferntisch. Er öffnete die Kellertür und rief die Steinstufen hinunter: »Hallo – Entschuldigung« – keine Antwort.
    Er stieg in den ersten Stock hinauf, ohne seine eigenen Schritte zu hören. Vom Treppenabsatz gingen zwei Türen ab. Die linke war mit einer Stahlplatte verstärkt und an beiden Seiten auf Schulterhöhe mit Messingschlössern gesichert. Die rechte war einfach nur eine Tür. Zwei unbezogene Einzelbetten, ein kleines Bad.
    Noch ein zweiter Schlüssel baumelte an dem Ring mit dem Hausschlüssel, den Hector ihm gegeben hatte. Mit ihm öffnete Luke die Tür links von ihm und trat in einen stockdunklen Raum, in dem es nach dem Deo einer Frau roch, einem, das auch Eloise früher gemocht hatte. Er tastete nach dem Lichtschalter. Tiefrote, noch kaum ausgehängte Samtportieren, dicht zugezogen und mit übergroßen Sicherheitsnadeln zusammengesteckt, die ihm vage seine Genesungswochen in dem amerikanischen Krankenhaus in Bogotá ins Gedächtnis riefen. Kein Bett. In der Zimmermitte ein kahler Tapeziertisch mit Drehstuhl, Computerund Leselampe. An der Wand vor ihm, oben an der Deckenkante angebracht, reichten vier schwarze Wachstuchjalousien bis zum Boden hinunter.
    Er trat hinaus auf den Treppenabsatz und beugte sich übers Geländer. Noch einmal rief er: »Irgendwer zu Hause?«, und auch jetzt bekam er keine Antwort. Wieder im Zimmer, löste er die schwarzen Jalousien eine nach der anderen, ließ sie behutsam hochgleiten in ihr Deckengehäuse. Im ersten Moment hielt er das, was da die Wand vor ihm bedeckte, für den Bauplan eines Architekten. Aber ein Bauplan wofür? Dann dachte er, es müsse eine gewaltige Rechenaufgabe sein. Aber eine Berechnung wovon?
    Er studierte die bunten Linien und las die sorgfältigen, schräggeneigten Beschriftungen. Waren das Städtenamen? Aber welche Städte hatten schon Namen wie Pastor, Bischof, Priester oder Kurat? Gestrichelte neben durchgehenden Linien. Schwarze Linien, die zu Grau

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